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Und wir scheitern immer schöner

Titel: Und wir scheitern immer schöner
Autoren: Dirk Bernemann
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Hälfte aller Anwesenden haben sich bewusstseinserweiternden Pilzen hingegeben und erkunden ihr neu strukturiertes Umfeld. Sie spielen ‹Ich sehe was, was du nicht siehst› und erkennen nicht den Ernst ihrer Lage und ihre falsche Hingabe. Da war mal viel Kreativität, wo jetzt nur noch Hirnteile glühen oder ganz fix ‹drogenbetäubt› werden wollen. Das Nicht-Erkennen, dass die Kunst doch im Leben verwurzelt ist, nervt mich an dieser Zusammenkunft gewaltig. Mir hört ja auch keiner zu, denke ich so in mein Bier hinein und schaue mich um.
     
    Da sitzen wir in diesem Keller von Mandy. Aus der Stereoanlage scheppert zu leise zum Wachrütteln ‹Die Dreigroschenoper› von Brecht und Weill. Die Ironie des Stückes ‹Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens› zirkuliert eine Minute vierunddreißig in meinem Schädel. Warum versteht das keiner mehr? Wir sind keine Freunde mehr. Scheiße, wir waren NIE Freunde, immer nur eine Zusammenkunft von Theoretikern. Kunst war uns wichtig. Ich muss hier raus. Ich muss hier weg. Mein Hunger nach Zuversicht und frischer Straßenluft wird unerträglich.
     
    Da sitzen wir in diesem Keller von Mandy. Mandy hat ihre Kamera auf mich gerichtet. Die schlage ich ihr aus der Hand und gebe ihr eine satte Ohrfeige als Bonusfeeling. Sie fällt zu Boden und fotografiert dort weiter. Ich erhebe meinen Körper und bemerke sich lösende mentale Fesseln. Ja, ja, wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht, ihr Deppen! Ich stoße beim Verlassen des Kellers an den Glastisch, auf dem sich Tim gerade 'ne Line weißes Pulver in die Nase saugt und sich wie der König eines Niemandslandes fühlt.
     
    Ein paar Treppen später bin ich glücklicher als zuvor.
     
    How to lead an intelligent life? So geht's.
     
    Ich habe mir mein Bewusstsein zurückgeholt. Meinen Kopf zerschlagen und neu zu denken begonnen. Augenblicke später sind auch nur Zeit.
     
    Da stehe ich vor Mandys Haus. Atme tiefe Züge. Leben. Hier draußen passiert es. Laute Autos fahren schleppend vorbei und machen die Luft stinkend. Weiteratmen. Ein und aus. Wie geil ist das denn? Die Welt ist kaputt. Kapitalistisch verseucht und menschlich am Rand. Aber echt. So echt, dass es wehtut, und ja, es tut weh, hier zu sein und zu erkennen. Da unten im Keller kann ich aber dagegen nichts machen. Da kann ich nur sitzen und warten. Und ein wenig ansterben. Und dem Verfall de luxe zusehen. Dem voranschreitenden Theoriewahnsinn, der sich wahrscheinlich niemals mehr in praktischen Formen darbieten wird.
     
    Ich gehe nach Hause. Bewusste Schritte. Jeder Schritt weg von Mandys Haus erhöht den Egospaßfaktor. Was ich da erlebte, war ein kleines Totgehen.
     
    Komme endlich dann zu Hause rein. Es ist nicht aufgeräumt, schließlich bin ich Künstler. Ich schmeiße meinen Laptop an und beginne, ein Buch zu schreiben.
     
    Die Erinnerungen von Hans-Kathrin Rampe, dem mehrfach Fotografierten.
     
    Also, wir können gerne noch 'nen Themenabend bei Arte dranhängen ... kein Ding ...
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Klingelschlampe von nebenan
     
     
    Deutschland, das werte Werbefernsehen. Klingeltöne für ungewaschene Erwachsene.
     
    ‹Wilde Mädels aus dem Osten machen ALLES für dich. Wähle null-eins-neun-null-vier-fünf-sex-sieben-fünf!› – ‹Ich will poppen statt leben. Komm in meinen Whirlpool, du Sau!› – ‹Vertief dich in mich! Mach mich klar! Wähle null-eins-neun-null-usw.!›
     
    Die Konkurrenz schläft nicht.
     
    Sportfernsehen nach null Uhr. Irgendjemand guckt zu und fühlt sich inspiriert. Wählt eine Telefonnummer und ich bin dran.
     
    Ich bin allein in einem Zimmer, eigentlich vertieft in ein schlechtes Buch, das Unterhaltung, Ablenkung und Spaß bieten soll. Unterhaltungsliteratur für Frauen ab fünfzig. Laut Zielgruppe bin ich dabei.
     
    Ich denke kurz an Helmut, meinen Mann. Der ist schon lange tot. Ich schließe die Augen und bin in seinem Krankenzimmer. Es war voller Krebs und Helmut lag darin. Bis er mit fünfundvierzig starb. Lungenkrebs. Ich sehe noch, wie ich ihm die schmerzvollen Augen schloss und ihn in Frieden ruhen ließ. Dann mache ich die Augen wieder auf und bin in trostloser Umgebung. Eine 3-Zimmer-Wohnung in einem Industriegebiet vor Braunschweig.
     
    Ich lese ein Buch von Hera Lind. Das scheint ja für mich dem Alter entsprechende Literatur zu sein. Jeder Auswurf dieser Frau
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