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Und wir scheitern immer schöner

Titel: Und wir scheitern immer schöner
Autoren: Dirk Bernemann
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Haare zu gammeligen Kaputthosen, einem durchgeschwitzten weißen Unterhemd und fetten Stiefeln. Sie tanzt wie eine Billardkugel. Eckt an, fällt, steht auf, springt mit den Füßen voran zurück in die Tanzmasse. Sie ist klein und wendig und tanzt, als gäbe es kein Morgen und keine Liebe. Sie gefällt mir.
     
    Später dann steht sie allein an der Bar, raucht und trinkt Bier. Ich denke nur, dass ich nicht weiß, wie Anmache geht. Trotzdem versuche ich Kontaktaufnahme. Stelle mich an die Bar in ihre Nähe, ebenfalls Bier bestellend. Drehe dann 'ne Kippe und tu so, als ob ich in meinen Hosentaschen nach einem Feuerzeug suche. Die gute alte Feuer-Nummer. Und tatsächlich zündet sie vor meinen Augen mit ihrem Feuerzeug eine Flamme, in die ich meine Zigarette halte und erleichtert inhaliere. «Danke», flüstere ich. Ihr Blick trifft mich genau in den meinen. Meine Standardanmache geht weiter: «Öfter hier? Hab dich hier noch nie gesehen. Wer bist du?» Und plötzlich führen wir ein Gespräch, denn sie hat auf all meine Zitterversuche reagiert und aus ihr bricht nun ein Wortschwall des Vertrauens. Sie heißt Paula. Ich sage ihr auch meinen Namen und sie muss erst mal lachen, so wie viele. Valentin ist für 'nen Typen in meinem Alter eine untypische Bezeichnung. Aber so heiße ich halt und irgendwann hört sie auch auf deswegen zu lachen.
     
    Im weiteren Verlauf des Abends heben wir noch anständig viel Bier, rauchen 'ne Menge selbst gedrehter Kippen und freuen uns über den gelungenen DJ-Set aus Punk, Hardcore und Ska. Wir reden über Politik, Arbeitslosigkeit und bemerken beide, dass unserem Land auf jeden Fall Linksdruck fehlt. Schon mal keine stumpfe Nazibraut, denke ich und freue mich über ihr Lächeln und ihre zärtliche Stimme, die in einem sehr weiblichen Körper zu wohnen scheinen, der nur fassadenmäßig auf hart getrimmt ist.
     
    Wir reden auch über Musik und bemerken massenhaft kulturelle Gleichheiten. Darüber freuen wir uns und betrinken uns fleißig. Außerdem mögen wir ähnliche Filme, die einer gewissen Gewaltdarstellung nicht abgeneigt sind. Paula und ich sind verdammte Realisten.
     
    Der ‹Durchbruch› macht dann irgendwann dicht und das grelle Saallicht aus Neon trübt die Gemüter und will das Publikum vertreiben. Paula sucht ihre Jacke. Als sie vollständig bekleidet vor mir steht und in meinen Augen wohl Angst, sie zu verlieren, sichtbar wird, nimmt sie meine Hand und lädt mich spontan noch zu 'nem Bier bei sich ein. Sie wohnt nicht weit von hier.
     
    Nach viertelstündigem schweigsamem Fußmarsch kommen wir bei ihr an. Ein abgewracktes Mehrfamilienhaus am Rand des Industriegebietes. Da steht ein Auto am Straßenrand mit einem ‹Böhse Onkelz›-Aufkleber. Ach wie fragil sind doch die Rücklichter deutscher Autos, wenn sie auf englische Springerstiefel treffen. Plexiglas splittert kleinteilig durch die besoffene Nacht. Gemeinsames Paula-Valentin-Lächeln.
     
    Auf ihrer Wohnungstür steht ‹Heroinspaziert!›. Wir gehen rein und die Skinhead-Girl-Singlewohnung sieht so aus, wie ich sie mir vorstellte. Unaufgeräumt. An den Wänden Poster von Filmen und Bands. In der Küche 'ne Menge nicht gewaschenes Geschirr. Pizzakartons, die mal den schnellen Assi-Snack für zwischendurch beinhaltet haben. Schön hier. Paula holt Bier aus dem Kühlschrank, gekühltes Flaschenbier. Es wird immer schöner in der Bude der Bezaubernden. Wir trinken und ich sehe mich begeistert um.
     
    Nach minutenlangem Schweigen und Schauen bietet mir Paula an, die Nacht hier zu verbringen. Das kommt mir aus praktischen – meine Wohnung ist in einem anderen Stadtteil – und emotionalen – Paulazauber – Gründen sehr gelegen. Wir gehen ins Schlafzimmer, auch hier herrscht wohnliches Chaos. Auf dem Boden liegen Unterwäscheteile, Essensreste und 'ne Menge Papier in Gestalt von Zeitungen, Briefen, Prospekten, Flugblättern.
     
    Unweit der Grenze des Sonnenaufgangs verfallen wir in tiefe Küsse, die nach einer zauberhaft durchgefickten guten Viertelstunde in einem gemeinsamen Orgasmus gipfeln. Der Auftakt dieser Zusammenkunft hätte perfekter nicht sein können. Ich fühlte mich wie eine ‹kaputtgekitschte› Romanfigur von Nicolas Sparks, dem alten Frauenversteher. Normalerweise finde ich solche Gefühle eher abstoßend, aber die Magie, die von Paula auszugehen scheint, bügelt die Atmosphäre so glatt, dass auch Liebe plötzlich wieder zu ertragen war.
     
    Da liegen wir dann, als sich die Nacht zum Tag
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