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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme?
Autoren: Eva Prawitt
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café con leche-Pause in einem vornehmen Hotel-Restaurant. Die Bar hängt voller blinkender Spiegel, die Bodenfliesen glänzen vor Sauberkeit; auf der ausladenden Treppe, die von den oberen Stockwerken wie eine Verheißung in die Bar herunterführt, stolzieren fein gekleidete junge Leute herunter, die Frauen in gestärkten Blusen und engen, knielangen Röcken, die Männer in weißen Hemden und Hosen mit Bügelfalten. In meinem verschwitzten T-Shirt, den plumpen Wanderschuhen und dem Rucksack, an dem an Sicherheitsnadeln Mikrofaserputztücher und Socken baumeln, fühle ich mich einigermaßen deplatziert, aber was macht das schon? Was spielen solche Äußerlichkeiten für eine Rolle? Der Kaffee ist lecker und belebend wie immer, und hier drinnen ist es angenehm kühl.
    Auch draußen geht es schattig weiter. Wir wandern durch einen Hohlweg, essen im Laufen jeder eine Birne und verschwinden nacheinander mit Klopapier ausgerüstet im Gebüsch, während der andere auf das Gepäck aufpasst. Aber egal wie sehr wir auch versuchen, den Weg — unsere letzte Wanderung — in die Länge zu ziehen, Santiago rückt unerbittlich näher. Wir durchqueren wieder einmal ein Gewerbegebiet, dann eine Wohngegend mit einer Menge Reihenhaus-Neubauten, von denen eines wie das andere aussieht. Und plötzlich tauchen in der Ferne die Türme der Santiago-Kathedrale auf. Welch ein erhebendes Gefühl! Ich habe sie zuerst gesehen und darf deshalb Pilgerkönigin sein, ein Titel, der dem zusteht, der in einer Wandergruppe zuerst die Kathedralentürme entdeckt. Und das bin heute ich! Aber königlich fühlen wir uns beide. Wie im Triumph marschieren wir die letzten eineinhalb Kilometer auf schmalen Gassen durch den Vorort Meixonfrio. Den Berg hinunter Richtung Stadtzentrum durchqueren wir einen Grünstreifen, auf dem es zwischen Wohnhäusern und den Mauerresten einer alten vorrömischen Siedlung eine Pilgergedenkstätte geben soll. Dem Brauch nach können Pilger hier auf einem Steinhaufen einen eigenen Stein niederlegen. Wir haben aber weder den Steinhaufen gesehen noch einen eigenen Stein mitgeschleppt. Unsere Symbole tragen wir in der Erinnerung und in unseren Herzen mit uns. Außerdem scheint es uns wichtiger zu sein, etwas mitzunehmen als etwas zurückzulassen, weshalb wir nach der Gedenkstätte auch nicht besonders Ausschau halten. Unser Blick ist nach vorne gerichtet, auf das Ziel: die Kathedrale von Santiago.
    Gleich, gleich haben wir es geschafft, beinahe 1000 Kilometer, die wir nur zu Fuß zurückgelegt haben. Wir versuchen jeden Schritt hinauszuzögern. Trotzdem haben wir für diese letzte 18 Kilometer-Etappe inklusiv unserer Kaffee-Pause kaum mehr als dreieinhalb Stunden gebraucht. Jetzt geht uns alles viel zu schnell. Dass das Wandern nun vorbei sein soll, können wir fast nicht begreifen. Dabei ist dieses Mal das Ankommen wirklich ein Ankommen. Wir sind euphorisch und ziehen auf dem Platz vor der Kathedrale ein wie Sieger, nehmen uns Zeit, setzen uns auf eine Steinbank, knuspern Schokolade und freuen uns einfach nur, dass es genau so ist, wie es gerade ist.
    Doch schließlich machen wir uns auf den uns mittlerweile bekannten Weg ins Pilgerbüro. Ganz anders als beim ersten Mal quillt es über vor Pilgern, die alle ihre Compostela abholen wollen, weshalb Pit und ich uns erst mal nach einer Unterkunft umsehen. Wir checken ein in dem hostal, in dem vor zweieinhalb Wochen unsere A-Mädels und Moni und Pierre übernachtet haben und deren Inhaber, Antonio und Elena, wir schon von einem gemeinsamen Abendessen her kennen. Die beiden begrüßen uns auch gleich wie alte Freunde. Elena drückt mich an ihren dicken weichen Bauch, und Antonios kleine schwarze Äuglein strahlen unter buschigen schwarzen Brauen, als er vor uns her die Treppe hinaufstapft und uns zu einem schnuckeligen Zimmerchen mit eigenem Bad und frisch bezogenen Betten führt. Elena kocht unten in der Küche ein fürstliches Mahl für uns. Es gibt Linsensuppe und Makkaroni, Fisch mit Salat und Pommes und zum Nachtisch Erdbeertörtchen und Kaffee solo. Und dann duschen wir ausgiebig und turnen auf unseren zusammengeschobenen Betten herum wie Flitterwöchner. Sich noch mal aufzuraffen fällt schwer. Aber wir wollen noch heute unsere Compostela haben. Und diesmal müssen wir nicht lange warten.
    Ob wir die ganze Strecke von Ferrol zu Fuß gekommen seien, fragt uns die junge Spanierin hinter dem Tresen in tadellosem Englisch.
    »Yes, we are«, nicken wir.
    Und was unsere Motive gewesen
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