Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
tragen konnte, oder Schuhe, die sich bequem anfühlten, solange man sie im Laden ausprobierte, und man kaufte sie, obwohl man schon ahnte, dass man auf der Straße damit verloren war. Sogar eine Nacht mit dem falschen Mann – zu schnell geschenktes Vertrauen – konnte man überleben. Aber in jedem Fall merkte sie es zu spät, erst, wenn sich nichts mehr daran ändern ließ.
    Vielleicht hätte ich den Bus nehmen und durch den Tunnel fahren sollen, dachte sie, oder ein Taxi, warum habe ich kein Taxi genommen? Aber dann dachte sie: Es macht keinen Unterschied, er hätte dich so oder so gefunden. Irgendwann hätte er dich gefunden, im Videoshop oder im Bus, sonstwo. Du bist einfach irgendwie in den falschen Film geraten, Amir hat dich da mit hineingezogen, obwohl er es bestimmt nicht wollte.
    Und jetzt musst auch du sterben.
    Der Motor der Fähre brummte gleichmäßig. Das Wasser teilte sich mit einem seidigen Rauschen. Ein Nebelhorn ertönte, wieder die abgerissenen Musikfetzen vom Bug, und irgendwo in der Ferne ein kurzer Schrei, kürzer, als man brauchte, um ein Messer in einer Wunde umzudrehen. Vielleicht hatte Amir so geschrien, vor einigen Nächten. Vielleicht ist es sein Todesschrei, den ich erst jetzt höre. Er kommt zu mir wie das Licht von einem dieser Sterne, das man angeblich noch sehen kann, obwohl sie längst erloschen sind .
    Sie dachte an seinen schlanken dunklen Körper im Leichenschauhaus, übersät mit Stichen, kleinen blutverkrusteten Wunden, als hätte ihn ein winziges jähzorniges Tier angefallen. Erloschen,obwohl seine sanfte, stolze Seele weiter in ihr leuchtete. Sie merkte, dass sie zu weinen anfing, nicht richtig, nur das erste Brennen in den Augen, bei dem man sich noch zusammenreißen konnte.
    Sie sah zu dem Mann mit dem angespannten Nacken hinüber. Die Stelle, wo er gestanden hatte, war leer. Ihre Blicke flogen hin und her, um ihn zu suchen; es geschah ganz von selbst, sie konnte nichts dagegen tun. Und wenn sie sich getäuscht hatte? War doch möglich, bei dem Licht, und was sollte er überhaupt noch hier, jetzt wo Amir nicht mehr lebte?
    Du hast ja nicht mal sein Gesicht gesehen, dachte sie. Er ist es nicht, und gleich legen wir an; niemand verfolgt dich, niemand lauert dir auf, niemand will dich umbringen.
    Wenn sie das andere Ufer erreichte, war alles gut. Wenn sie den Anlegesteg erreichte, ohne dass es passierte, würde sie die Fähre nie wieder betreten. Auf der Fähre war es am leichtesten für ihn. Wenn sie lebend auf der anderen Seite ankam, würde sie überhaupt nie mehr aus dem Haus gehen. Sie würde den Videoshop absperren und die Wohnung verriegeln, und das Essen würde sie sich an die Tür liefern lassen.
    Das Nebelhorn tutete erneut, irgendwo hinten bei den Westerdoks. Es klang nach einem großen Schiff, einem Öltanker vielleicht, der sich vom Nordzee Kanaal her näherte und Kurs auf das Ijsselmeer hielt. Wenn man genau hinschaute, konnte man ihn linker-hand schon in der Dunkelheit erkennen, schwach beleuchtet, ein Schatten, der allmählich größer wurde. Es schob viel Wasser vor sich her, das schwarz und hart gegen die Fähre schlug.
    Auf so einem Schiff war Amir um die halbe Welt gereist, bis es in Rotterdam angelegt hatte. Die Frau dachte an den letzten Anruf, den sie von ihm bekommen hatte, an seine Stimme, leise und so atemlos, ich muss abtauchen, nur für ein paar Tage, sie dürfen nicht wissen, dass es dich gibt, niemand darf das wissen, aber bald sind wir aus allem raus, bald sind wir reich, und in ihrem anderen Film, dem richtigen Film, war sie plötzlich reich gewesen. Sie hatte sich neue Schuhe gekauft und teure Kleider. Sie hatte es sich ganz klar und bunt vorgestellt, um die Angst zu ersticken, die ihr das Herz abschnürte.
    Deswegen war er nach Amsterdam gekommen, um aus allem raus zu sein , den ganzen Weg von Indien. Und dann war er da gewesen, und Amsterdam hatte nicht auf ihn gewartet, mit seinem Stolz, seiner zarten Seele. Die Stadt konnte ihn einfach nicht gebrauchen. Statt ihn aufzunehmen, ließ sie ihn nur durch ihre Straßen laufen und halb verblühte Rosen verkaufen.
    Das war Amir, bevor ich ihm begegnet bin, und deswegen habe ich mich in ihn verliebt, und deswegen habe ich ihn auch geheiratet. Weil ich wusste, dass er es sonst nicht schaffen würde, ohne meine Hilfe. Und er hätte es geschafft, wir hätten es beide geschafft, wenn der harte Mann nicht aufgetaucht wäre, eines Tages, in der Videothek .
    Er hatte ihr Amir genommen, den Amir, den sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher