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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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anfassen konnte, dessen Geruch sie so sehr mochte. Amir, mit dem sie hier an der Reling gestanden und gedacht hatte: wie im Film, wie in einer schönen, zuckerbunten Bollywood-Liebesschnulze – Amsterdam im Abendrot, und da, die Lichter von Java Eiland, und weiter rechts ein kühnes Gebäude, das den Hafen mit seinem riesigen Bug aus grünem Stein durchpflügte, ja, genau so, und noch weiter hinten vor Anker die Amsterdam, das allererste Segelschiff der Ostindien-Kompanie, und das alles mit Amir, dem allerersten Mann, den ich je geliebt habe.
    Ein Frösteln zog die Haut auf ihrem Rücken zusammen. Sie blinzelte die Tränen weg, und plötzlich stand der Mann hinter ihr. Er stand so nah, dass sie seine Körperwärme spürte, als wollte er sie umarmen. Er war da, und plötzlich dachte sie, deswegen hast du dir das gelbe Sommerkleid gekauft – damit du fröhlich aussiehst, wenn du tot bist. Man sollte immer etwas Gelbes anhaben, wenn man stirbt.

2
    Der Commissaris folgte dem Blut. Das Blut schien über den Asphalt zu kriechen, ein Tropfen und noch ein Tropfen und noch einer, und dann kroch es auf den Bootssteg und weiter über die Decksplanken eines am Ufer vertäuten Hausboots.
    Das Hausboot lag ein Stück weit von der Mündung des Kanals entfernt, am Ende einer mit Schlaglöchern übersäten Straße, die von Lagerhallen gesäumt war. An den Fassaden der Gebäude prangten exotische Firmennamen in verblichenen Schriftzügen. Auf den Höfen zwischen den Hallen standen Lastwagenhänger ohne Zugmaschinen, und die Eisentore der Höfe waren mit schweren Ketten gesichert. Am Fuß der Laderampen wuchs Huflattich in dürren Büscheln aus den Ritzen im Beton. Rostige Maschendrahtzäune trennten französische Autoersatzteillager von türkischen Import-Ex- port-Geschäften und billige Fitnessclubs von schäbigen Sexcabarets. Auch die winzigen Fenster der Frachthallen waren mit Stahlgittern und Eisenjalousien gesichert.
    In warmen Nächten bewahrte ein Viertel wie dieses seine Gerüche bis in den frühen Morgen: das Blut, das von schlachtfrischem Fleisch getropft war, die Ausdünstung faulender Fischköpfe, den Gestank von Schmieröl und warmen Gummireifen. Abwasser bildete kleine schillernde Pfützen in den Schlaglöchern. Die Pfützen spiegelten den Himmel, das letzte Dunkelblau der Nacht und das erste Morgenrot.
    Der Commissaris folgte dem Blut über das Deck des Boots zu der Luke im Heck. Er dachte, dass es sehr viel Blut war, hier und draußen vor dem Liegeplatz. Er fragte sich, warum jemand, der so viel Blut verlor, sich nicht einfach irgendwo hinsetzte, um sich auszuruhen, um die Blutung zu stillen. Vielleicht hat der Mörder ihm keine Zeit gelassen, dachte er. Vielleicht hat er ihn vor sich her getrieben, ihn erbarmungslos hin und her gejagt bis zu dieser Luke und in den dunklen, feuchten Ort dort unten.
    Geduckt stieg der Commissaris die schmale Holztreppe in den Bauch des Hausboots hinunter, den kleinen roten Flecken nach, die vor dem Licht seiner Taschenlampe über die Stufen in die Finsternis zu seinen Füßen flohen. Die Luft im Kielraum war stickig und feucht. Der Commissaris richtete den Strahl der Taschenlampe auf die unterste Stufe, dann auf den Boden darunter, auf eine Holzkiste, eine Taurolle, einen Generator, einen Haufen Werg.
    Die Leiche lag auf der Seite, im hintersten Winkel, neben einemEimer mit Pech zum Abdichten durchgerosteter Stellen im Bootsrumpf.
    Das Licht erfasste zuerst die Füße in den blutigen Turnschuhen und wanderte dann über die angezogenen Beine hoch zum Gesicht, das von Schnittwunden übersät war und auf dem das entweichende Leben einen Ausdruck von Enttäuschung zurückgelassen hatte. Die Augen waren geschlossen, aber die Lippen standen offen, und in der Kehle klaffte ein tiefer Schnitt wie ein zweiter Mund an der falschen Stelle. Getrocknetes Blut verkrustete die Wunde, den Hals und das weiße Hemd.
    Die Hände, zu Fäusten geballt, pressten sich gegen die Brust. Auch die Handrücken waren mit tiefen Schnitten bedeckt. An einem Arm schimmerte matt ein Metallreif. Die gekrümmte Haltung des Opfers verriet nacktes Entsetzen, so eindringlich, als hätte es sich in seinem Körper festgesetzt und sogar seinen Tod überdauert.
    Die Blutspur führte geradewegs zu der Leiche. Das Blut war nicht mehr frisch, aber man konnte es noch erkennen, eine ganze Armee von Tropfen, Spritzern und Flecken rings um den Toten. Der Commissaris schaltete die Lampe aus. In der jähen Dunkelheit glaubte er für
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