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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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antwortete Van Leeuwen leise. »Nicht mich.«

35
    Der Commissaris begrub seine Frau am Nachmittag des folgenden Mittwochs um 16 Uhr 30. Es war ein schöner Tag, nicht zu heiß, und der Wind wehte stetig vom Ijsselmeer landeinwärts. Der Friedhof lag am Ufer der Amstel, etwas außerhalb der Stadt, aber leicht zu erreichen. Es war ein schöner Friedhof, so schön, wie ein Friedhof nur sein konnte. Es gab hohe alte Bäume und verschlungene Pfade zwischen Hecken und Büschen. Van Leeuwen wusste, dass Simone es hier gut haben würde. Er hatte niemandem von der Beerdigung erzählt; Simones Eltern waren tot, und Geschwister hatte sie nicht gehabt. Als die Bestatter den Sarg in die Erde hinabgelassenhatten, schickte er sie weg, und dann war er allein mit ihr im späten Nachmittagslicht. Er überlegte, was er ihr noch sagen könnte, aber alles, was ihm einfiel, konnte er ihr auch ein andermal sagen. Es war einfach nur so, dass er nicht weggehen wollte.
    Vom Fluss, wo das Boot lag, hörte er die Wellen am Ufer vorbeistreifen, und manchmal sprang ein Fisch und fiel zurück ins Wasser. Er hörte die Vögel auf den Ästen zwitschern und sah ein Eichhörnchen den Stamm eines Ahornbaumes hinauflaufen. Das Laub der Bäume zeigte schon erste Spuren des nicht mehr fernen Herbstes, etwas Zimtrot, eine Spur von Ocker. Mücken tanzten in flirrenden Schwärmen über dem Waldboden. Fahle Sonnenstrahlen verfingen sich in den Zweigen, die ihre Schatten auf das offene Grab warfen. Es war ein schöner Tag, und der Wind, der landeinwärts wehte, rauschte leise in den Kronen der Bäume über Simones Grab.
    Van Leeuwen wünschte sich, es wäre anders gekommen; das war alles, was er sich wünschte. Er griff nach der Schaufel, die ihm die Bestatter dagelassen hatten. Er ließ eine Schaufel voll Erde auf den Sarg fallen, dann eine zweite und eine dritte. Danach hörte er auf, mitzuzählen. Er vergrub den einzigen Schatz, den er jemals besessen hatte. Als er fertig war, trat er die Erde fest, zog sein Jackett wieder an und ging mit der Schaufel in der Hand zu dem Boot, mit dem sie gekommen waren.
    Es wird nicht immer so schlimm sein wie heute oder gestern, dachte er. Am Anfang ist es immer besonders schlimm, aber so wird es nicht bleiben. Es tut nur so weh, weil die ganze Operation mitten in deinem Herzen stattfindet und weil man dir seit zwei Jahren jeden Tag etwas mehr herausgenommen hat.
    Aber irgendwann, das wusste er schon, würde es nicht mehr so schlimm sein, auch wenn er sich das jetzt nicht vorstellen konnte. Als er mit dem Boot zurück in die Stadt fuhr, fragte er sich, was er tun konnte, um allein durch die Nacht zu kommen. Er wollte nicht zu Ton gehen, und er wollte auch sonst niemanden sehen. Es erschien ihm nicht richtig, heute Nacht Gesellschaft zu haben. In den letzten Nächten war er bei Sim gewesen, in dem schmucklosen, kühlen Raum, in dem sie vor der Beerdigung gelegen hatte. JedesMal, wenn er nach Hause gegangen war, hatte er sich gesagt, dass er sie morgen wieder besuchen würde. Aber da, wo sie jetzt war, konnte er sie nicht besuchen.
    Er hatte Angst vor seiner Wohnung, vor der Treppe, vor dem Öffnen der Tür. Er hatte Angst vor den leeren Zimmern, in denen ihn nur Echos erwarteten. Sie waren in dem einen Raum, und wenn er in einen anderen ging, folgten sie ihm. Er hatte Angst davor, was er in den Zimmern suchen und niemals wieder finden würde.
    Als die Dunkelheit hereinbrach, stand er auf dem Dach des Europarking am Mauergeländer und sah hinunter auf die Stadt, auf die dunklen Grachten, die Neonströme an den Fassaden der Häuser und das leuchtende Blut in den großen Verkehrsadern, die den Stadtkern umpulsten. Sim hatte Amsterdam geliebt, vom ersten Tag an, jeden Tag, bis zum letzten. Am Abend ihrer Abreise ins Heim waren sie noch einmal zusammen hier oben gewesen, um Abschied zu nehmen von dem Ort, an den er sie vor dreißig Jahren gebracht hatte; wo sie seine Frau geworden war. Beide liebten sie diese Stadt.
    Als er hierhergekommen war, klebte ihm noch der Lehm der Äcker an den Schuhen. In den ersten Nächten hatte er immer nach den Sternen Ausschau gehalten, die er von zu Hause kannte, aber der Himmel über Amsterdam war so hell erleuchtet von den Lichtern in den Straßen, dass er nur wenige Sterne wiederfand. Er dachte, dass er sich in Acht nehmen musste vor einer Stadt, in der sogar die Sterne verloren gingen; in der nur die stärksten Sterne zu sehen waren, und selbst die bloß schwach. Mit der Zeit lernte er zu
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