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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman
Autoren: Heyne
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Hemd hervorschaute, außerdem dunkle Hosen und heute noch ein Bündel mit Wechselwäsche, das er über die Schulter geworfen hatte. Vergnügt griff er im gleichen Augenblick nach dem Türriegel, in dem die ungeduldigen Rufe seines Freundes Michele Santini an sein Ohr drangen. Offensichtlich vermutete er ihn noch in der Wohnung.
    »Prospero, beeil dich! Wir müssen los! Sonst ist meine Schwester eine alte Frau, bevor sie unter die Haube kommt!« Immer wieder amüsierte ihn der heisere, süditalienische Klang von Micheles Stimme. Ein Lächeln huschte über Prosperos Lippen und ließ seine tiefbraunen Augen funkeln. In drei Tagen, frohlockte er, würden sie in Neapel sein, in einer Stadt, die seine Fantasie befeuerte. Und
die römischen Sorgen würden dann weit hinter ihm liegen. Aber treiben lassen würde er sich deshalb trotzdem nicht. Dazu war er viel zu sehr Bolognese.
    »Was schreist du so? Wenn wir zu früh kommen, ist sie noch ein Kind!«, antwortete er seinem Freund, als er nun zu ihm auf die Straße trat. Hätte die etwas zu große Nase des jungen Hilfsauditors Lambertini nicht von der Erhabenheit der hohen Stirn abgelenkt, so hätte man sein Antlitz nicht nur als angenehm, sondern auch als schön bezeichnen können. Unter dem Dreispitz quoll widerspenstig das dichte kastanienbraune Haar hervor.
    Die Sonne am hohen Himmel wirkte, als würde sie dort nicht hingehören, bedroht von schwarzen Wolkenfetzen. Es war fast Mittag. Aus dem Fenster des Nachbarhauses schaute jetzt ein verkaterter Mann. »Hol dich der Teufel, du Schreihals!«
    Man sah ihm an, dass er dem Fluch nur allzu gern eine deftige Beleidigung hinterhergeschickt hätte. Da er aber die Ursache des Lärms in dem kleinen Priester ausmachte, verstummte er stattdessen. Er kratzte sich verlegen am Geschlechtsteil und rief begütigend: »Verzeihung, Vater, ich konnte ja nicht wissen...« Dann verzog er sich hustend wieder in seine Wohnung.
    Michele schüttelte den Kopf über den Trunkenbold, dann geriet er ins Schwärmen. »Weißt du, Prosperino, in Neapel hält bereits der Frühling Einzug. Bald blüht der Oleander.«
    »Dann lass uns gehen, bevor es Sommer wird.«
    Prospero schritt so kräftig aus, dass Michele kaum mitkam. Er hoffte inständig, dass die südliche Stadt ihn auf andere Gedanken bringen würde, denn in Rom würde er Deborah niemals vergessen können, das hatten ihm die vergangenen Monate nur allzu deutlich vor Augen geführt. Jeder
Ort in der Stadt erinnerte ihn an die schöne Jüdin, an die nur zu denken bereits eine Sünde bedeutete und die ihn dennoch hartnäckig in seinen Träumen sowie in seinen wachen Stunden verfolgte.
    Über das bucklige Pflaster kam ihnen scheppernd eine Kutsche entgegen. Sie näherte sich mit großem Tempo. Die beiden Freunde traten an den Straßenrand, um das eilige Gefährt vorbeizulassen, und der Einspänner überholte sie. Ein Mann spähte aus dem Fenster, rief dem Kutscher etwas zu, der den Wagen wenige Schritte von ihnen entfernt zum Stehen brachte. Aus seinem Inneren kletterte geschwind der Auditor Alessandro Caprara, Prosperos Vorgesetzter bei der Sancta Rota Romana. Trotz der Kühle hatte er die obersten Knöpfe seines Priesterrockes geöffnet. Sein gewaltiger Leib dampfte, und das gerötete Gesicht verriet Anspannung. Erleichtert blickte er mit seinen kleinen, flinken Augen zum Himmel auf, bevor er seinen Hilfsauditor anherrschte. »Steig ein, wir müssen zum Papst.«
    »Sie selbst haben doch mein Urlaubsgesuch bewilligt!«
    »Ich weiß, ich weiß. Der Urlaub ist gestrichen!«
    »Aber er ist doch der Trauzeuge meiner Schwester. Es geht um ein heiliges Sakrament...«, protestierte Michele. Prospero legte dem Freund beschwichtigend die Hand auf die Schulter und wandte sich bittend an seinen Vorgesetzten. »Lassen Sie mich mit ihm gehen, verehrter Alessandro Caprara. Ich erfülle meine Christenpflicht und bin innerhalb einer Woche zurück. Was macht es den Toten schon aus, wenn sie sich sieben Tage länger gedulden müssen. Und dem Papst sagen Sie einfach, dass Sie mich nicht mehr angetroffen haben. Was ja auch beinah der Fall gewesen wäre.«
    »Ausgeschlossen! Du kommst mit! Und nun zu dir, junger
Freund«, wandte er sich keinen Widerspruch duldend an Michele. »Ich will doch hoffen, dass es in dem so stolzen Königreich Neapel wenigstens einen ehrbaren Mann gibt, der meinen Hilfsauditor bei deiner Schwester als Trauzeuge vertreten kann.« Die unnötige Spitze gegen Micheles süditalienische Abkunft
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