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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte
Autoren: Christoph Quarch
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die sich nur denken lässt. Ein »sieghaftes ›Ja!‹«: Das ist das Ereignis des Sinns. Es ist ein Ereignis, das uns trotzdem »Ja!« zum Leben sagen lässt. Das Ereignis eines Sinns, der einen Menschen nach Frankls Erfahrung auch unter widrigsten Umständen am Leben hält, ihn durchs Leben trägt – ein Ereignis, dessen Ausbleiben jedoch der Anfang vom Ende ist. »Sobald menschliches Dasein nicht mehr über sich selbst hinausweist, wird Am-Leben-Bleiben sinnlos, ja unmöglich«, resümiert er Jahre danach. Weil dann das »sieghafte ›Ja!‹« ausbleibt und die große Leere eines »existenziellen Vakuums« den Menschen erdrückt, wie er das später nannte. Leuchtet uns von nirgends – aus keinem fernen Gehöft – mehr ein »Ja!« entgegen, dann breitet sich Sinnfinsternis über das Land. Dann keimen Resignation und Depression in den Herzen der Menschen.
    Es war zweifellos diese Erfahrung, die Viktor Frankl für die psychosoziale Situation der modernen westlichen Welt besonders sensibilisierte. »Wir leben im Zeitalter eines um sich greifenden Sinnlosigkeitsgefühls«, diagnostizierte er in den 1970er Jahren die nordamerikanische und europäische Kultur. Und er führte diesen durchaus pathologischen Befund darauf zurück, dass diese Kultur nicht mehr über sich selbst hinausweist, weil sie von allem mehr als genug hat: »Wir leben in einer Gesellschaft des Überflusses, aber dieser Überfluss ist nicht nur ein Überfluss an materiellen Gütern, er ist auch ein Informationsüberfluss, eine Informationsexplosion. Immer mehr Bücher und Zeitschriften stapeln sich auf unseren Schreibtischen. [Seufz, wie wahr!] Wir werden von Reizen, nicht nur sexuellen, überflutet. Wenn der Mensch in dieser Reizüberflutung durch die Massenmedien bestehen will, muss er wissen, was wichtig ist und was nicht, was wesentlich ist und was nicht, mit einem Wort: was Sinn hat und was nicht.«
    So steht es da – und damals gab es noch nicht einmal das Internet! Umso erschütternder scheint mir, wie aktuell und zeitgemäß Frankls Diagnose klingt. Denn sind die eingangs beschriebenen Signaturen der Gegenwart nicht tatsächlich Symptome dessen, was Tillich als »Verlust der Dimension der Tiefe« und Frankl als »existenzielles Vakuum« bzw. »abgründiges Sinnlosigkeitsgefühl« beschrieb? Gibt es nicht allen Grund zu der Annahme, dass die von Frankl beobachtete »bedingungslose Sinnträchtigkeit des Lebens« in unserer oberflächlichen Hochglanzwelt mehr und mehr ins Leere geht; dass unsere Sinnsuche gleichsam abperlt an den blankpolierten Fassaden und Profilen eines virtuell inszenierten Lebens? Wie dem auch sei. Frankl sah das so, und weil er inmitten des ultimativen Grauens des Konzentrationslagers entdeckt hatte, dass allein das Bewusstsein für einen wie auch immer gearteten Lebenssinn die Häftlinge am Leben hielt, zog er den naheliegenden Schluss, dass es eben dieser Sinn für den Sinn ist, der den Menschen der Moderne wieder erschlossen werden muss, wenn das »abgründige Sinnlosigkeitsgefühl« nicht das letzte Wort haben soll.
    So entwickelte Frankl in der Nachkriegszeit die Logotherapie: ein therapeutisches Verfahren, bei dem es um nichts anderes geht, als Menschen verschüttete Sinnperspektiven wieder freizulegen. Sie bestimmte fortan Viktor Frankls Denken, denn er war überzeugt, sie könne das »existenzielle Vakuum« der Menschen durch Sinn und Freude auffüllen. Diese Grundannahme beschreibt er wie folgt: »Der Mensch ist ein Wesen auf der Suche nach einem Sinn, nach dem Logos, und dem Menschen Beistand zu leisten in der Sinnfindung ist eine Aufgabe der Psycho therapie – ist die Aufgabe einer Logo therapie.« Dabei betont er: »Kein Psychiater, kein Psychotherapeut – auch kein Logotherapeut – kann einem Kranken sagen, was der Sinn ist, sehr wohl aber, dass das Leben einen Sinn hat, ja mehr als dies: dass es diesen Sinn auch behält, unter allen Bedingungen und Umständen, und zwar dank der Möglichkeit, noch im Leiden einen Sinn zu finden.« Und noch im Leiden dieses »sieghafte ›Ja!‹« zu finden, das unserem Dasein Grund und Boden gibt.
    »Zu finden«, das ist wichtig. Frankl war der festen Überzeugung, dass es unmöglich ist, aus eigener Kraft seinem Leben einen Sinn zu geben. So sagt er ja auch, »von irgendwoher« habe ihm das »Ja!« entgegengejubelt. Es traf ihn, kam über ihn, überwältigte ihn beinahe. Das Ereignis des Sinns hatte sich ihm weder als Einsicht infolge einer Argumentationskette erschlossen,
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