Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst
Autoren: Carla Norton
Vom Netzwerk:
dem anderen versucht, ihn zur Seite zu drängen – da die dürre Schlampe aus Sacramento, dort der aufdringliche Spinner von CNN –, aber keiner wird ihm sein Terrain streitig machen.
    Die Story gehört ihm.
    Seit der ersten Entführung arbeitet er daran. Er hat unzählige Artikel und Blogs geschrieben. Diese Geier hier wollen sich ins gemachte Nest setzen? Bitte sehr, sollen sie ruhig drängeln und schubsen. Er wird keinen Millimeter nachgeben.
    Er ist wie immer früh hier gewesen und hat sich in die allererste Reihe gesetzt. Aber die Nachricht hat sich rasch verbreitet. Nun stehen draußen die Transporter der Sender, Satellitenschüsseln schießen wie Pilze hervor, und die Presseleute balgen sich zeternd um die besten Plätze.
    Einige erkennen ihn natürlich. Sein rasierter Schädel, der in Form und Farbe an gebackenes Brot erinnert, ist schwer zu übersehen, vor allem in dieser kleinen gewöhnlichen Gemeinde. Ein paar Reporter schütteln ihm die Hand und versuchen, ihm Informationen aus dem Kreuz zu leiern, aber das lässt ihn kalt. Seit fast sieben Jahren spürt er Storys für den Jefferson Express auf. Er hat sich seine Kontakte erarbeitet. Wenn diese Schnorrer Informationen wollen, dann können sie ja eine Zeitung kaufen. Oder besser noch, sein Blog lesen.
    Die Lautstärke steigt um zahlreiche Dezibel an, als immer mehr Zuschauer in den Raum drängen, sich an den harten Bänken vorbeischieben und sich auf jeden freien Platz quetschen. Für die übliche Pressekonferenz hätte der Saal problemlos ausgereicht, für diesen Ansturm ist er jedoch nicht ausgelegt.
    Der Wachmann schickt letzte Nachzügler weg und schließt die Türen. Das Summen gespannter Erwartung liegt in der Luft, und Poe hält die Ohren offen, um Neuigkeiten herauszufiltern, während um ihn herum Meinungen und Gerüchte ausgetauscht werden. Ein Aufgebot uniformierter Deputys und Polizisten tritt ein und stellt sich hinter dem Rednerpult auf, und Poe beugt sich vor, um eine Polizistin zu beobachten, die ihn mit ihren Locken immer an seine Highschool-Liebe erinnert. Sie sieht nachdenklich aus und redet mit dem muskelbepackten FBI-Agenten.
    Poe verzieht spöttisch das Gesicht. Dass das FBI wieder in der Stadt ist, hat er schon gehört.
    Dreimal hat Poe miterlebt, wie die Bundesagenten in Jefferson City einmarschiert sind, um die Helden zu spielen. Sie kommen stets schnell und mit vor Wichtigkeit geschwellter Brust und ziehen dann still und leise wieder ab. Weil jeder weiß, dass ein Kind, das länger als achtundvierzig Stunden vermisst wird, nur selten lebend wiedergefunden wird. Und natürlich möchte das FBI nicht Tage und Wochen mit Warterei verplempern, um letztlich den Kopf dafür hinzuhalten, dass man mal wieder nur die verwesten Überreste findet.
    Doch da sich in der Story etwas bewegt hat, haben der aufgepumpte Agent und seine Kumpels erneut den langen Weg von Sacramento auf sich genommen, um sich ein großes Stück Ruhm zu sichern.
    Heuchler.
    Endlich tritt Sheriff Mike Garcia, ein stämmiger Bursche in Cowboy-Stiefeln, durch eine Seitentür ein. Alle Köpfe wenden sich, als er auf das Rednerpult zugeht. Stifte werden gezückt, Kameras ausgerichtet, Blitze flammen auf, die Temperatur steigt. Der Sheriff beugt sich zum Mikrofon und testet den Ton. Fernsehreporter geben der Technik Signale, als Sheriff Garcia einleitende Bemerkungen macht und diverse Bürger und die Polizeiprominenz grüßt. Schließlich richtet er sich zu voller Größe auf und kommt zur Sache.
    »Mit Freuden darf ich Ihnen heute verkünden, dass die dreizehnjährige Tilly Cavanaugh, die im vergangenen Oktober entführt wurde, lebend gefunden worden ist.«
    Die Menge schnappt kollektiv nach Luft.
    Der Sheriff fährt lauter fort. »Gestern früh wurde Tilly Cavanaugh aus dem verschlossenen Keller eines Gebäudes am Rand von Jefferson County befreit.«
    Die Menge murmelt, aber Otis Poe gähnt. Er kennt bereits die Adresse, ein abgelegenes Grundstück westlich der Stadt an der Tevis Ranch Road. Schon bei Tagesanbruch war er dort und hat Fotos gemacht.
    »Das Mädchen ist am Leben«, wiederholt der Sheriff gerade. »Sie wurde ins St. Jude’s Hospital gebracht, wo man sie nach einer gründlichen Untersuchung und entsprechender medizinischer Versorgung in die Obhut ihrer Familie entlassen hat.«
    Die Menschenmenge blubbert vor Aufregung. »Ist jemand verhaftet worden?«, brüllt ein Mann, und nun fangen die Reporter an, ihre Fragen abzufeuern.
    »Ruhe, bitte!« Die Stimme des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher