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Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst
Autoren: Carla Norton
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amüsierten Zucken der Lippen zieht sie ein gefaltetes Blatt Papier aus der Tasche. »Die Hausaufgaben«, sagt sie von sich aus und wedelt mit dem Blatt. »Alles dabei.«
    Sie faltet das Papier auf. »Ich habe über die Gründe nachgedacht, warum ich gerne im Restaurant arbeite. Und obwohl ich nur eine Teilzeitstelle habe, ist die Liste ziemlich lang.« Sie blickt auf und fügt hinzu: »Was ja gut ist, aber ich werde trotzdem versuchen, mich kurz zu fassen.«
    Ein Lächeln huscht über Dr. Lerners Gesicht, kurz bevor sein Handy ein gedämpftes Pling von sich gibt und das Lächeln verblasst. »Tut mir sehr leid, Reeve. Bitte entschuldigen Sie einen Moment.« Er nimmt das Handy und sieht aufs Display.
    Sie versteift sich. Dr. Lerner hat sich noch nie in einer Sitzung ablenken lassen. »Ist das ein Notfall?«
    Er runzelt die Stirn, dann schüttelt er den Kopf und legt das Handy auf den Schreibtisch. »Tut mir leid, Reeve. Bitte fahren Sie fort.«
    »Aber müssen Sie nicht …?«
    »Nein, nein, das kann warten.« Er holt Luft und blickt ihr in die Augen. »Sie wollten mir gerade vom Restaurant erzählen.«
    Sie zögert.
    »Ursprünglich hatten Sie Angst, dass es Ihnen nicht gefallen würde«, hilft er ihr weiter.
    »Ähm, stimmt. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Und ich glaube, das liegt zum Teil daran, dass es emotional nicht vorbelastet ist.«
    »Ah. Und was genau meinen Sie damit?«
    »Na ja, japanisches Essen hat ziemlich wenig mit kalter Pizza und warmer Limo zu tun.« Sie grinst, und ein Grübchen zeigt sich in der Wange.
    »Gute Erkenntnis. Was noch?«
    Während sie die Liste mit der rechten Hand hält und Bitsy mit der beeinträchtigten linken streichelt, erzählt sie ihm, wie gut ihr die schlichte Förmlichkeit der Japaner, die rituellen Verbeugungen, der saubere Duft von grünem Tee gefallen. »Und ich lerne die Sprache«, fügt sie hinzu.
    »Wunderbar. Japanisch ist schwer.« Er legt die Fingerspitzen aneinander. »Auf der Highschool waren Sie gut in Sprachen, nicht wahr?«
    Sie wirft ihm einen mürrischen Blick zu. »Sie werden jetzt aber nicht wieder anfangen, mich mit dem College zu nerven, oder?«
    »College?«
    Sie verdreht die Augen und fährt fort. »Wie auch immer. Als ich über die Hausaufgaben nachdachte, habe ich festgestellt, dass ich stark auf Geräusche reagiere. Na ja, vielleicht nach der ganzen Stille, wissen Sie?« Sie hat aufgeschrieben: Dr. Lerners Stimme ist geschmeidig wie Karamell, aber das sagt sie nicht, und ihr fällt ein, wie sein Tonfall damals vor Gericht scharf wurde und jeder im Saal sich plötzlich aufmerksam aufsetzte und ihn beobachtete, während eine eigenartige Intensität wie Hitze von ihm abstrahlte.
    »Aha? Was für Geräusche?«
    »Zum Beispiel hat Takami-san eine ganz leise Stimme, beinahe wie ein Flüstern. Und das Messer des Sushi-Kochs klackt auf dem Schneidebrett. Die Musik im Restaurant ist fast Zen-artig. Instrumental, wissen Sie, keine dümmlichen Texte.«
    »Und das können Sie genießen? Das ist ein Fortschritt.«
    Sie hatte jahrelang Schwierigkeiten mit Musik und beschwerte sich, dass ihr alles wie Lärm erschien. Dr. Lerner hatte die Vermutung, dass sie an Anhedonie litt, der Unfähigkeit, Freude zu empfinden.
    Sie streichelt Bitsys Kopf. »Und jetzt fragen Sie mich nach Thanksgiving.«
    »Genau. Gut. Sie werden zum Essen bei Ihrer Familie sein, richtig? Irgendwelche Vorbehalte?«
    Sie schüttelt den Kopf, lehnt sich zurück und erzählt ihm von der neuen Lebensgefährtin ihres Vaters. »Sie will an Thanksgiving kochen. Was uns allen auf jeden Fall etwas gibt, wofür wir dankbar sein können.«
    Dr. Lerner nickt und macht seine üblichen Bemerkungen, als das Handy erneut einen Ton von sich gibt. Unwillkürlich sieht er hin. »Ich muss mich noch einmal entschuldigen, Reeve. Eine Sekunde bitte.« Er nimmt das Handy, blickt aufs Display, dann zur Tür.
    Sie neigt sich nach vorne, und Bitsy wird unruhig. »Müssen Sie da nicht drangehen?«
    Er zieht die Augenbrauen zusammen, wirft wieder einen Blick zur Tür. »Nicht sofort.«
    »Sind Sie sicher?«
    Er legt das Handy zurück, aber seine gepeinigte Miene entgeht Reeve nicht. Sie fragt sich, ob irgendwo in Mexiko oder im Iran Geiseln freigelassen worden sind, und wieder wirft sie sich vor, dass sie die Nachrichten nicht verfolgt.

2. Kapitel
    Jefferson City, Kalifornien
    O tis Poes Größe leistet ihm gute Dienste. Im Sitzen überragt er jeden dieser Eindringlinge um mindestens einen Kopf. Ein Journalist nach
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