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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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kennen den Namen?«
    »Na, hören Sie! Hat doch oft genug in den Zeitungen gestanden. Ich hab alles gelesen. Im ›Kurier‹ und im ›Express‹ und in der ›Kronenzeitung‹. Eine unheimliche Geschichte ist das. Kein Mensch weiß …«
    »Wo liegt das Grab?« fragte Manuel Aranda ungeduldig. Er war groß und schlank und sah auf den Pförtner herab. Der Pförtner war klein und alt. Er trug eine dunkle Uniform, eine Tellerkappe und einen nikotinverfärbten Walroßschnurrbart. Er tat beim Haupteingang Dienst.
    In der Mauer neben der rechten Portalseite befand sich eine Loge, die Tür stand offen. Aranda sah einen Tisch, zwei Stühle, ein Telefon, ein Wandbord mit vielen Schlüsseln und Steckuhren für die Nachtwachleute. Auf dem Zementboden schmolz Schnee zu Dreck. Von der Decke hing eine kahle elektrische Birne herab und erhellte die Loge, deren Wände schwarz und grünlich verfärbt waren. Auf dem Tisch erblickte Aranda eine halbgeleerte Flasche Bier, daneben lagen Brot und Wurst. Teilchen von beiden fanden sich in des Pförtners gelblichem Schnurrbart.
    »Sind Sie von der Polizei?« Der kleine Mann blinzelte Aranda an. Sein spitzes Gesicht war sehr weiß, die Ohren und die Nase waren gerötet, auch die Augen. Er sprach ein wenig schwerfällig. Aranda überlegte, ob sich wohl Bier in der Bierflasche befand.
    »Nein«, sagte er. »Ich bin nicht von der Polizei.«
    »Aber ein Ausländer sind Sie! So eine braune Haut! Und dann der Akzent. Obwohl der Herr sehr gut deutsch sprechen.« Der Pförtner legte den Kopf schief. »Vielleicht ein Verwandter von der Frau Steinfeld?«
    »Auch kein Verwandter!« sagte Aranda sehr laut, während er die Fäuste in den Taschen seines Kamelhaarmantels ballte.
    »Pardon«, brummte der Pförtner gekränkt. »Man interessiert sich halt. Gerade bei so einem Fall …«
    »Das Grab! Wo liegt das Grab?«
    »Ja, also
auswendig
weiß ich das leider nicht. Bestattet worden ist sie vorgestern, gelt?«
    »Am Dienstag, ja.«
    »Ich ruf die Verwaltung an, warten Sie.« Der Pförtner ging in die Loge. Manuel Aranda wartete. Im Ausschnitt des Kamelhaarmantels steckte ein breiter Kaschmirschal. Er trug halbhohe, pelzgefütterte Schuhe, Handschuhe, eine braune Persianermütze. Er fröstelte. In der Tat, tief sonnengebräunt war das ovale Gesicht. Aranda hatte graue Augen, eine ebenmäßige Nase und volle, in der Kälte bläulich verfärbte Lippen. Er machte den Eindruck eines Mannes, der vollkommen erschüttert und verwirrt, von Ängsten und Zorn erfüllt ist. Er war sechsundzwanzig Jahre alt.
    In seiner Loge erregte sich der Pförtner lauthals am Telefon.
    »Was ist denn das für ein Sauladen, den ihr da habt? Va – le – rie Stein – feld! Vorgestern! Ihr werdet doch, Gott behüte, noch wissen, wo die Steinfeld liegt!« Er streichelte seine Flasche.
    Hysterisch klingelnd fuhr eine rot-weiße Straßenbahn die Simmeringer Hauptstraße hinab, an deren westlicher Seite sich, viele Kilometer lang, die hohe Mauer des Friedhofs erstreckt. Ein Pferdefuhrwerk war auf die Schienen geraten und schlitterte hin und her. Der Kutscher schlug die starken Rösser, die mit ihren Hufen auf dem eisigen Pflaster ausglitten. Funken stoben. Auch am Rand der Straße türmten sich Berge von Schnee, doch hier war er schmutzig, braun, grau und schwarz. Der Kutscher bekam sein schweres Gespann endlich von den Schienen. Die Tiere hielten, erschöpft keuchend.
    Manuel Aranda fühlte, wie ihn eine Welle der Benommenheit überkam. Dieses Schwindelgefühl empfand er immer wieder, seit er in Wien war. Es ging stets rasch vorbei. Aber es vermittelte Aranda jedesmal das Gefühl größter Verlassenheit, Hilflosigkeit und ohnmächtiger Wut. Er kam sich vor wie ein Mensch nahe dem Ausbruch einer schweren Krankheit. Er mußte an einen Irrgarten denken, in den er weiter und weiter hineintaumelte, mit jeder neuen Minute, wie in einen endlosen Tunnel, in immer größere Finsternis und Kälte. Es war das Geheimnis, das ihn schwach und elend machte, dachte er, dieses Geheimnis …
    Er wandte den Kopf, wobei sich sein Schwindelgefühl kurz, aber jäh verstärkte, und sah den blauen Mercedes, den er nach seiner Ankunft in Wien gemietet hatte und der wenige Schritte von ihm entfernt parkte. Rechts vom Haupttor, an der Friedhofsmauer, stand eine lange Reihe sauberer kleiner Hütten. Vor ihnen waren Kränze mit Natur- und Kunstblumen ausgebreitet, Gebinde, alle Arten von Kerzen, Kerzenhaltern, Windgläsern, Kupferkannen und Kupfertöpfen.
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