Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
zwischen ihn und den neuen israelitischen gebettet, erstreckt sich, vergleichsweise klein, die Evangelische Abteilung.
    Die helfen mir nicht, dachte Clairon. Da sind überall hohe Mauern. Wenn es darauf ankommt, muß ich sehen, wie ich im katholischen Teil zu einem der Ausgänge gelange. Zu einem der kleinen Tore der Rückseite am besten. Was für ein Monstrum von einem Friedhof!
    »Olymp ruft Nummer Eins … Olymp ruft Nummer Eins …« Clairon meldete sich.
    »Es ist jetzt fünf vor zwei. Arandas Wagen haben sie aus der Garage gebracht. Er kommt eben aus dem Hotel.«
    »Gut«, sagte Clairon.
    Er fuhr durch den Friedhof, auf dem er sich nun gut auskannte, bis vor eine alte große Platane jenes Rondells, das inmitten der Gruppen 56, 57, 58, 59, 71 und 72 liegt. Kein Mensch war hier, weit draußen in der Nähe der Friedhofsrückseite, zu sehen. Clairon rief die Zentrale und teilte mit: »Ich bin jetzt da und gehe auf Posten.«
    »Gut, Nummer Eins. Nummer Zwei folgt Aranda. Wenn er wider Erwarten doch nicht zum Friedhof fährt, ruft Nummer Zwei Nummer Zwölf, und Nummer Zwölf fährt dann die Allee herunter, damit Sie informiert sind. Aber Aranda kommt bestimmt.«
    »Hoffentlich«, sagte Clairon. Er schaltete den Sender ab, ebenso den Motor. Dann stieg er aus. Achtundvierzig Jahre alt war Clairon, aber er wirkte älter. Er hatte eine römische Nase in dem mageren Gesicht und schmale Lippen. Er trug einen wasserdichten Mantel aus erbsenfarbenem Popeline, der mit dickem Lammfell gefüttert war, die neue schwarze Pelzmütze, ein Wollhalstuch, Skihosen und Pelzstiefel. Die 98 k hielt er unter dem Mantel versteckt, während er nun vorsichtig die freigeräumte Allee zur Gruppe 73 hinabging – ein langes Stück Weg auf spiegelndem Eis. Erst als er sich anschickte, in die verschneite Gruppe 73 einzudringen, holte er zwei Filzlappen aus den Manteltaschen und band sie um die Stiefelsohlen. Danach sprang er über einen Schneewall am Rand der Straße. Aufmerksam betrachtete er die Gruppe 74, die durch eine andere freigeräumte Allee von seinem Abschnitt getrennt lag. Er entdeckte sofort, was er suchte. Sie hatten ihm genügend Fotografien jenes Grabes gezeigt.
    Jenes Grab im Abschnitt F 74 stets im Auge behaltend, wählte Clairon nun das geeignetste seiner Gruppe aus – eine leichte Arbeit. Nach einigem Herumwaten war die ideale Position gefunden: Das Grab lag in der Abteilung L 73 und gehörte einer Familie Reitzenstein. Vier Tote ruhten bereits hier unter einem grauen Marmorquader, der fast so hoch wie Clairon war, zwei Männer und zwei Frauen. Clairon las die in den Stein gemeißelten, schwer vergoldeten und teilweise von Schnee verwehten Namen.
    Über dem mächtigen Quader lagerte, gleichfalls aus grauem Marmor, ein etwa dreißig Zentimeter hoher Sockel, und auf diesem kniete, mit breit ausladenden Flügeln, ein grauer Marmorengel, welcher weinte. Dieser Engel war so groß wie ein normaler Erwachsener und trug ein wallendes Gewand und langes Haar, das ihm über den Rücken fiel. Die Hände hielt er vor das Gesicht geschlagen. Der Griff einer gesenkten Marmorfackel war an seiner rechten Hüfte befestigt, ihre Krone auf dem Sockel. Eine große Steinflamme loderte aus ihr empor. Die Fackelkrone befand sich an einem Ende des schweren Aufsatzes, der linke Fuß des Engels am andern. Auf der Vorderseite des Sockels waren in Großbuchstaben, gleichfalls schwer vergoldet, diese Worte zu lesen:
    EST QUAEDAM FLERE VOLUPTAS
    Clairon, vor dem monströsen Grab stehend, übersetzte die Inschrift gewohnheitsmäßig sogleich im richtigen Rhythmus: Irgendwie tut es wohl, sattsam sich auszuweinen.
    Kurze Ergriffenheit erfaßte ihn, während er den Text für sich wiederholte und dabei die Drähte an die Lederhandschuhe anschloß. Es waren Spezialhandschuhe, die sich beheizen ließen. Die Drähte liefen unter Clairons Jackenärmeln bis zu zwei Batterien in den inneren Brusttaschen. Seine Finger mußten warm bleiben.
    Der Engel trug eine Schneehaube von mindestens vierzig Zentimetern. Ebenso heftig verschneit waren seine Flügel, der Sockel, der Quader, das Grab. Clairon machte es sich hinter ihm bequem. Es war wirklich ein großartiger Platz. Von den Alleen her konnte niemand ihn sehen.
    Unter dem Knie des abgewinkelten linken Beines ließ das geschürzte Gewand des Engels eine dreieckige Öffnung entstehen. Den Durchblick mußte Clairon erst säubern, denn natürlich war er zugeschneit. Desgleichen reinigte er ein etwa fünfzehn Zentimeter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher