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Und ewig währt die Hölle (German Edition)

Und ewig währt die Hölle (German Edition)

Titel: Und ewig währt die Hölle (German Edition)
Autoren: Kjetil Try
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beobachtete ihre temperamentvollen Armbewegungen vorn an der Tafel. Das war vielleicht einer ihrer Schwachpunkte, das Temperament, die Ungeduld. Für Lykke war Geduld eine der größten Tugenden. Er konnte seine Untergebenen und seine Vorgesetzten zum Wahnsinn treiben mit seiner Akribie. Es ging das Gerücht, Lykke sei bereits als junger Ermittler elfmal an einen Tatort zurückgekehrt, um sich zu versichern, dass er nichts übersehen hatte. Andererseits gab es nur wenige, denen Zeitverschwendung mehr verhasst war als ihm, wenn es um bürokratische Routine ging.
    Plötzlich lachte Parisa Sadegh laut über einen Kommentar von Lasse Viker. Lykke lächelte. Wie die meisten anderen hörte er Parisa gern lachen. Könnte eine Weile dauern bis zum nächsten Mal, dachte er.
    «Die Tochter heißt Nora. Zehn Jahre alt, in Norwegen geboren. Sie war bei einer Schulfreundin im Nachbaraufgang, um Hausaufgaben zu machen, als ihre Mutter getötet wurde. Die Mutter der Schulfreundin sagt, dass sie höchstens eine halbe Stunde da war, ehe sie wieder nach Hause lief, um ihren Schulranzen zu holen.»
    «Sie hat nichts gesehen? Ist niemandem auf der Treppe begegnet?»
    Lykke war aufgestanden und ging zum Fenster.
    Parisa legte den Stift zur Seite.
    «Keine Ahnung. Der Typ von der Jugendfürsorge, mit dem ich gesprochen habe, sagt, dass sie seit ihrer Ankunft nur geweint hat.»
    Lykke starrte hinaus auf die Straßenlaternen, die im kalten Wind schwankten. Es ging auf Mitternacht zu, und das Grønlandsleiret lag nahezu wie ausgestorben da. Drei dünngekleidete, dunkelhäutige Männer überquerten fröstelnd die Straße und steuerten auf den Spätkauf-Kiosk zu, sie zogen etwas hinter sich her, das aussah wie ein Müllsack. Ein Taxi stand mit laufendem Motor vor Larssens Friseursalon und wartete auf Kundschaft. Ansonsten war alles friedlich. Obwohl, friedlich? In diesem Augenblick, irgendwo da draußen, wurden sicher Dutzende Frauen von gewalttätigen Ehemännern misshandelt, fingen betrunkene Kneipenbesucher Streit in der Taxi-Warteschlange an, stahlen Diebesbanden Flachbildschirme und Handys aus Villen, verkauften Dealer Rauschgift an Schulkinder … Als er noch ein junger Polizist war, hatte ihn das immer wieder zutiefst frustriert. Er hatte den naiven Wunsch gehabt, ein für alle Mal aufzuräumen oder zumindest so weit aufzuräumen, dass es spürbar war. Nachhaltig. Dauerhaft. Er hatte viele Jahre gebraucht, um sich daran zu gewöhnen, dass es nur immer schlimmer wurde, ganz egal, wie sehr er aufräumte.
    «Okay. Gehen wir alles noch einmal gründlich durch: Nadija Hadzic, sechsunddreißig Jahre alt, aus Bosnien. Geschieden, eine Tochter. Was wissen wir noch?»
    Lykke überhörte Ted Eriksens leises Stöhnen und richtete den Blick auf Parisa Sadegh an der Tafel.
    «Vorläufig nicht sehr viel», sagte sie. «Wir haben ihren Pass überprüft, er scheint in Ordnung zu sein. Die Nachbarn beschreiben sie als ruhig, höflich und in jeder Hinsicht nett.»
    «In jeder Hinsicht nett?» Lykke machte eine hilflose Handbewegung. «Waren das ihre Worte?»
    Parisa zuckte mit den Schultern.
    «Ja.»
    «Haben sie mit ihr Kaffee getrunken? Hatte sie Liebhaber, ist sie abends betrunken nach Hause gekommen?» In Lykkes Stimme lag eine Andeutung von Schärfe.
    «Weiß ich nicht.» Parisa setzte sich wieder auf ihren Platz. «Wir haben mit allen im Haus gesprochen, bis auf einen Mann im ersten Stock, ein gewisser …», Parisa blätterte in ihren Notizen, «Egil Pay. Den Nachbarn zufolge ist er nachts oft unterwegs.»
    «Pay?» Lykke stutzte.
    «Engländer vielleicht, keine Ahnung», sagte Parisa. «Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber er steht nicht im Telefonbuch. Soweit ich das verstanden habe, geht er wohl auch keiner geregelten Arbeit nach.»
    «Du schnappst ihn dir, sobald er zu Hause aufkreuzt.»
    «Natürlich.» Parisa nickte Lykke kurz zu. «Ich hatte nicht den Eindruck, dass seine Nachbarn ihn besonders gut kennen, aber es hat auch niemand schlecht über ihn geredet.»
    «Sprich noch mal mit ihnen.» Lykke setzte sich wieder an den Tisch. «Angehörige in Norwegen oder Bosnien?»
    Lasse Viker klopfte sich auf die Brusttasche seiner Jacke. «Steht schon auf meiner To-do-Liste.»
    «Die Mutter der Schulfreundin?»
    Die Schärfe in Lykkes Stimme nahm zu.
    «Nichts.» Viker zog ein Bild aus der Plastikmappe und hielt es hoch. «Die beiden Mädchen sind Klassenkameradinnen, aber ihre Mütter haben sich nie privat getroffen. Nur hin und wieder
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