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und du bist weg

und du bist weg

Titel: und du bist weg
Autoren: Theo Pointner
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Sein Chef hatte ihn sogar übernommen, fast zehn Jahre war er jeden Morgen zur Arbeit gegangen, hatte nie krankgefeiert, bis das mit seiner Frau passiert war. Unterleibskrebs, zack, festgestellt bei einer Routineuntersuchung. Drei Monate später war sie schon tot. Von dem Schock hatte er sich nie mehr erholt, er fing an zu trinken, machte immer öfter blau, bis er seine Arbeit los war.
    Kurz darauf verlor er auch die Wohnung. Seitdem lebte er auf der Straße.
    Die Dicke hinter dem Grill hatte ihn bemerkt und winkte ihn unauffällig heran. Nach einem schnellen Kontrollblick packte sie zwei Bratwürstchen in ein Brötchen, wickelte eine Serviette um das Backwerk, kleckste einen ordentlichen Schlag Senf oben drauf und schob ihm sein Abendessen über die Theke. Er nickte dankbar und biss hungrig in die schon leicht schwarz verfärbten Würstchen. Für die Zweiliterflasche Rotwein in einer seiner Plastiktüten war die Gabe als Grundlage allemal gut genug.
    Die Einkaufsstraße hatte sich zusehends geleert. Ein Stück weiter, direkt unter dem die Flaniermeile in luftiger Höhe überspannenden Eiscafé packten die Verkäufer des Obdachlosenmagazins ihre Brocken zusammen. Lindemann gönnte ihnen noch nicht einmal einen flüchtigen Blick. Als BODO ein brandneues Projekt war, hatte er ebenfalls mitarbeiten wollen, bei seinem früheren Beruf hätte er sicherlich eine Hilfe sein können. Aber ein fester Job war nicht drin, und sich als Verkäufer des Blättchens für vielleicht drei, vier Mark in der Stunde die Füße platt zu stehen, war nicht sein Ding. Da saß er lieber mit seinem Plastikbecher auf dem Husemannplatz oder machte mit Heini, seinem einzigen wirklichen Kumpel auf der Trebe, ein Fläschchen leer, wenn sie es sich leisten konnten.
    Lindemann verdrückte den letzten Rest seines Wurstbrötchens und wischte sich mit der Serviette die fettverschmierten Finger ab. Unter seinen Fingernägeln stapelte sich der Dreck, seine Klamotten schrien nach einer Waschmaschine. Aber keine zehn Pferde würden ihn jemals wieder in den Pennerbunker auf dem Springerplatz bringen. Dort hätte er zwar duschen und gelegentlich seine Sachen waschen können, aber die ständige Angst um seine paar Habseligkeiten machte ihn verrückt. Als er das letzte Mal dort gepennt hatte, war sogar diese Schwuchtel zu ihm ins Bett gekrochen. Nee, da ging er nicht wieder hin. Und wenn, dann nur im Winter, wenn es mal richtig arschkalt werden sollte.
    In den Geschäften waren die Aufräumarbeiten in vollem Gang; junge, knackige Mädchen in knapper Oberbekleidung rückten die Ständer mit Garderobe in die Geschäfte zurück, der Marktleiter des Supermarktes, zu dem auch der barmherzige Würstchenstand gehörte, überwachte persönlich den Transport des Obsts und Gemüses ins Kühlhaus. Feierabendstimmung.
    Lindemann schluckte und drehte sich auf dem Absatz um. Er hatte sich mit Heini verabredet; die beiden teilten sich den Schlafplatz am Elisabeth-Krankenhaus.
    Tagsüber kam er eigentlich ganz gut mit seinem Leben klar; wenn er den Strom der Leute an sich vorbeilaufen sah, spürte er wenigstens das pralle Leben um ihn herum. Abends jedoch, wenn die meisten Leute nach Hause zu ihren Familien gegangen waren oder sich mit ihren Freunden trafen, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er früher ebenfalls ›dazugehört‹ hatte. Dann war es für ihn höchste Zeit, dagegen etwas zu unternehmen. Anderthalb Promille später ging es ihm schon etwas besser.
    »Guten Abend. Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«
    Im ersten Moment wollte Lindemann unbeeindruckt weitergehen, bis er merkte, dass der Satz ihm galt. Überrascht sah er auf. »Meinste mich, Meister?«
    Vor Lindemann stand ein elegant gekleideter Mann. Trotz der noch recht hohen Temperatur trug er einen sündhaft teuer aussehenden Anzug inklusive Weste, auf der eine protzige Uhrkette schimmerte.
    »Genau Sie meine ich«, lächelte der Anzugträger.
    »Wat gibbet denn?«
    »Nun, ich habe mich gefragt, ob Sie sich nicht auf die Schnelle ein paar Mark verdienen möchten.«
    Lindemann tat, als müsste er über dieses Angebot erst nachdenken. »Wat sind denn ein paar Mark?«
    »Sagen wir fünfhundert?«
    Dem Obdachlosen fiel die Kinnlade herunter. Das war fast der Sozialhilfesatz für einen ganzen Monat. Zu schön, um wahr zu sein. »Bisse etwa vom Sozialamt? Nee, Meister, mich krisse nich am Arsch. Such dir ’n anderen Blöden, der auf dich reinfällt.«
    Der Mann im Anzug wirkte amüsiert. »Glauben Sie wirklich,
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