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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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nicht. «Bei Cambrai hat ein massiver Durchbruch stattgefunden», teilte er mit. (Empire News : «Hunnen müssen mit massivem Durchbruch bei Cambrai rechnen.»)
    «Das bringt unseren Tom auch nicht zurück», sagte Oma leise. Was war das für ein Sieg, wenn das Kind, das sie geboren hatte, in flandrischer Erde schlief?
    «Sie kann es nicht hören, wenn vom Kriegsende gesprochen wird», sagte Opa. (Alice hatte sich einmal gefragt, ob ihre Mutter wirklich wünschte, daß der Krieg so lange dauerte, bis jede Mutter in England und Frankreich und Deutschland das gleiche durchgemacht hatte wie sie. Und sie hatte die Frage erbittert bejaht.)
    Schweigen. Dann fragte Opa: «Hast du schon gehört, von Taffy Evans?»
    «Ja. Edith hat’s mir gesagt.» Albert konnte nichts dazu sagen, denn die Zeitungen hatten nichts darüber geschrieben.
    «Ein Schimpf für unsere Jungens draußen», sagte Oma.
    «Ja, es passiert allerhand», sagte Albert. In den News of the World hatte so etwas gestanden.
    «Was allerhand?» fragte Crystal mürrisch und schlug mit der Faust auf ihres Vaters Schenkel. «Allerhand was, Dad?»
    «Das verstehst du nicht, Kind», sagte Albert.
    «Warum versteh ich das nicht, Dad?»
    «Was versteht sie nicht?» Seine Frau war aus der Küche gekommen.
    «Wir sprachen gerade über Taffy Evans», teilte Opa mit.
    «Ach, der!» sagte Edith gehässig. «Schämen sollte er sich!»
    Auch die anderen Frauen kamen nun aus der Küche und wischten sich geziert die Finger an winzigen Taschentüchern ab. Sie setzten sich, glätteten die Röcke, blickten lächelnd in die Runde und sagten: «Das war’s» und «Kalt da draußen» und «Viele Hände - schnell ein Ende».
    «Alice kommt aber spät heute», sagte Großtante Mabel.
    «Typisch - zum Abwaschen ist sie nie da», bemerkte Edith spitz.
    «Das Lazarett ist überfüllt», sagte Großtante Min. «Sie operieren rund um die Uhr, hab ich gehört.»
    «Das mit diesem Walter ist wirklich die Höhe», meinte Mabel. «Was wird bloß Frank sagen, wenn er wiederkommt?»
    «Viele Verwundete haben Gasbrand», warf Tante Min ein.
    Benbow blickte interessiert auf. Doch er kam nicht dazu, das Thema weiter zu verfolgen, denn Edith zupfte etwas affektiert an ihrem Haar herum, das in Schnecken über ihren Ohren lag, setzte sich ans Klavier und gab mit Verve ein Arpeggio zum besten. Sie spielte nicht ganz so gut, wie sie glaubte, aber zweifellos besser als jeder der Anwesenden, und das machte sie praktisch zu einem Paderewski. «Noch ein Kirchenlied, bevor Alice kommt?» fragte sie. Edith, die Lehrerin, meinte, ihre Klasse immer beschäftigen zu müssen, und sie wußte, daß ihre Schwester Alice nichts mehr von Lobgesängen hielt. «Was möchtest du gern hören, Mutter?»
    «Sie hat sich ein bißchen aufgeregt», sagte Opa. «Dann hört sie gern: So nimm denn meine Hände.»
    Edith schlug einen Akkord an, und Oma seufzte: «Tom hätte nie auf dem Boden gelegen, wenn wir Kirchenlieder singen. Er hatte viel Sinn für Religion, unser Tom.»
    Nell packte Benbow unter den Armen und zog ihn hoch. «Sing mit!» flüsterte sie ihm zu.
    Benbow verlor selten Zeit mit Gekränktsein - er sang also brav mit, genauso, wie er folgsam aufs Klo ging, oder Oma einen Kuß gab, oder sich die Zähne putzte oder ein erschütterndes kleines Gedicht aufsagte, das mit den Worten begann: «Vater, die Turmuhr hat eins geschlagen, o laß uns nach Hause gehn...» Er folgte allen Anweisungen ohne Murren.
    Edith führte die Stimmen. Albert glaubte (und sie selber glaubte es heimlich auch), sie sei eine zweite Patti, aber die anderen waren nicht dieser Meinung. Walter verglich sie eher mit einem D-Zug, der in einen Tunnel einfährt. Aber verglichen mit Opas ohrenbetäubendem Schreien und Omas zittrigem Krächzen, und auch mit Nells ungeschulter heller Waliserstimme, konnte sich Edith völlig sicher fühlen. Nach So nimm denn meine Hände ließ sie ein Solo folgen: Ach, Lenker der Zeiten, o laß mich die Jugend noch einmal sehn. Alle waren tief beeindruckt, sie selber auch. In dem Schweigen, das ihrem Lied folgte, hörte man nur, wie Großtante Min schmatzend an ihrem Toffee lutschte. Onkel Albert sprach für alle, als er sagte: «Unsere Edith nimmt es mit jeder Opernsängerin auf.»
    «Alice kommt aber wirklich spät», meinte Großtante Mabel.
    «Sie sind eben überfüllt», sagte Min.
    Nells Gedanken waren noch bei dem Lied: Die Berge und Wälder, die weiten, ich möchte noch einmal sie sehn. Nie hatte sie schönere Worte
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