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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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dürfen.» Und dabei sehnte sie sich genauso wie er nach ein wenig Liebe und Zärtlichkeit.
    Er ließ die Arme sinken und stand verloren vor ihr. «Ich hab meine Stellung verloren, Nell. Irgendwer hat uns neulich gesehen - neulich abends, du weißt. Hat mich angezeigt.»
    «Nein!»
    «Ich möcht wissen, wer das war.» Er sah, wie sie erschrak, und versuchte wieder, sie in die Arme zu nehmen.
    Ein Geräusch an der Tür. Dann sagte eine müde Stimme: «O Gott.»
    «Alice!»
    Sie kam in die Küche und ließ sich, ohne von den beiden Notiz zu nehmen, auf einen Stuhl fallen.
    «Taffy kam gerade vorbei», sagte Nell hastig.
    Alice sah sie gereizt an. «Ist mir doch völlig egal. Behalt es für dich. Versteh doch! Es ist mir egal, ob du mit ihm schläfst oder ob ihr einen Mord plant. Ich will es nicht wissen — ich will gar nichts wissen. Ich habe nur zehn Minuten Zeit und möchte Ruhe haben. Ruhe.»
    Nell machte Taffy ein Zeichen und sie gingen auf Zehenspitzen zur Haustür. Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. «Wann kann ich dich Wiedersehen?»
    «Es geht nicht, Taffy. Im Augenblick nicht. Sonst gibt es Krach.»
    «Meinst du, sie wird was sagen?»
    «Alice? Ich weiß nicht. Sie ist ganz in Ordnung. Aber sie ist Toms Schwester.»
    «Tom ist doch tot», flüsterte er mit plötzlicher Bitterkeit. Es war die Bitterkeit eines Liebenden, dessen Rivale durch seinen Tod unbezwingbar geworden war.
    Sie schob ihn nach draußen und schloß die Tür. Dann ging sie in die Küche zurück. Alice saß zusammengesunken im Sessel, die Arme hingen wie tot über die Lehnen. Sie öffnete die Augen und starrte Nell an. «Warte, ich mach dir eine Tasse Tee», sagte Nell.
    Sie stellte den Kessel auf das Herdfeuer, und er begann sofort zu singen, dann wärmte sie die Kanne und gab den Tee hinein.
    Alice starrte sie immer noch an. «Stille Wasser sind tief», sagte sie, und es klang eher bewundernd als zurechtweisend.
    Nell nahm den Becher mit der Aufschrift «Gott erhalte unsere Jungen». «Nein, bloß den nicht», sagte Alice. «Wenn er wirklich unsere Jungen erhält, tut er das auf seltsame Art.»
    «Sieht wohl schlimm aus im Lazarett?» fragte Nell teilnahmsvoll.
    «Ja.» Alice starrte sie immer noch an. «Von mir wird niemand etwas erfahren, hörst du.»
    «Danke, Alice», sagte Nell steif.
    «Sag bloß nicht immer ! Es ist mir einfach nicht wichtig genug», sagte sie gleichgültig. Sie trank ihren Tee und erhob sich dann mit steifen Beinen. «Ich werd unsern Helden sagen, daß du nach ihnen gefragt hast. Wiedersehn.» Und draußen war sie.
     

3
     
    An diesem Oktober-Wochenende wurden die Uhren zurückgestellt. Alle atmeten erleichtert auf; die neumodische Sommerzeit war nicht beliebt, sie war gegen die Natur und gegen das göttliche Gesetz. Sie brachte das Wetter durcheinander und Opas Appetit und Omas Verdauung. Und außerdem war sie eine Erfindung der Deutschen...
    Aber jetzt hatte man Gott sei Dank wieder die richtige Zeit, die englische. Die Gaslampen wurden angezündet, die dunkelblaue Verdunkelung heruntergezogen; hinter dem Messinggitter tanzten die Flammen im Kamin, und die schwarze Marmoruhr schlug gewichtig die Viertelstunden - alles war, wie es sich für einen gemütlichen Sonntagabend gehörte.
    Benbow lag vor dem Kamin und ließ sich rösten. Er war dabei, ein Bild von Kaiser Wilhelm II. zu zeichnen; die Schnurrbartenden waren einen Fuß lang, aber der Helm mit dem Spieker wollte ihm nicht recht gelingen. Benbow ließ jedoch nicht locker. Er gab nicht leicht auf.
    Die Unterhaltung war stockend, denn die Damen waren in der Küche beim Geschirrspülen, und nur Oma, Opa und Onkel Albert, im blauen Sergeanzug mit pompöser Uhrkette, hielten die Konversation aufrecht. Auf dem Sofa hatte sich Crystal, Ediths und Alberts einziges Kind, in eine Ecke gefläzt; sie streckte die Beine von sich und warf ab und zu geringschätzige Blicke auf Benbows künstlerische Versuche.
    Onkel Albert als schwer wie Blei zu bezeichnen, hieße, dem Metall unrecht zu tun. Sein Anteil an der Unterhaltung lief darauf hinaus, daß er das, was er in der Zeitung gelesen hatte, mit etwas anderen Worten salbungsvoll wiedergab. Nach längerem Schweigen sagte er jetzt: «Unsere Jungens haben wohl den Schlüssel zum Sieg in der Hand.» (News of the World : «Alliierte halten den Schlüssel zum Sieg.»)
    Oma blickte verstört auf, und Opa sagte: «Sie regt sich immer so auf, wenn vom Kriegsende die Rede ist.»
    Ablenkungsmanöver duldete Onkel Albert
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