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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen
Autoren: Eric Malpass
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dagelassen wie ein Stück Treibholz, das die Flut zurückläßt. Ein Haus voller Fremder. O ja, sicher, sie waren nett zu ihr. Nur Edith mocht sie nicht, aber sie zeigte es nicht offen. Ab und zu ein paar kleine Nadelstiche, verwunderte Blicke - aber auch das tat weh. Mit Oma ging es meistens. Und Opa: «Nell, du bist hier zu Hause. Hier ist immer ein Zuhause für Toms Frau.» Nicht für sie selber also. Für Toms Frau. Aber das war verständlich, denn sie war immer noch eine Fremde — fremd und verängstigt.
    Was hatte sie also? Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und Gesellschaft. Nicht die Gesellschaft, die sie sich wünschte, aber sie war nicht allein. Und das war mehr, als Millionen anderer Menschen in dieser dunklen hungrigen Welt von 1918 von sich sagen konnten. Sie hatte Erinnerungen, die viele andere Mädchen dieser männerarmen Generation vielleicht nie haben würden. Sie hatte Benbow, ihren eigenwilligen unzugänglichen kleinen Jungen. Benbow war Toms Fleisch und Blut, und wenn er manchmal plötzlich strahlend lächelte, dann ging für sie die Sonne auf. («Wie seid ihr eigentlich auf den Namen Benbow gekommen?» hatte Edith einmal streng gefragt, und Nell hatte unsicher geantwortet: «Benbow war ein Admiral -jedenfalls gab es in einem Buch, das wir gelesen haben, ein Lokal Admiral Benbow. » Sie fühlte Ediths Blick, kalt und verächtlich. «Tom wollte es gern», hatte sie hastig hinzugefügt. «Er mochte das Meer so gern.» Tom, der das Meer nur vom Strand von Skegness kannte und das bißchen Wasser, das er von seinem Truppentransporter aus gesehen hatte, im Kanal. «Sie haben den Jungen nach einem Lokal in einem Buch genannt», hatte Edith später erzählt. «Als ich sie fragte, sagte sie, Tom wollte es. Landpomeranze aus Wales.» Edith war Lehrerin und wußte natürlich alles.)
    Edith. Morgen abend kam sie. Morgen abend kamen alle, morgen war Sonntag. Der alte Mann in seinem guten Anzug — ausnahmsweise roch er nicht nach Leim und Holz — sagte dann: «Nun, Edith, wie wär’s mit ein bißchen Musik? Und wenn wir ein paar Lieder gesungen haben, kommst du dran, Albert.» Oma, von Kissen gestützt, ließ ihre Blicke über das Liederbuch wandern und genoß den Sonntagabend, denn an diesem Tag ruhten ihre Unpäßlichkeiten. Großtante Min saß neben ihr. Sie hörte und sah alles und merkte es sich, um es später mit eigenen Zutaten weiterzugeben. Edith, streng und schmallippig, kam manchmal ohne ihren Ehemann Albert, immer dann nämlich, wenn er Nachtdienst hatte. Auch Großtante Mabel war da; ihren kleinen Bauernhof hatte sie in der Obhut des deutschen Kriegsgefangenen Siegfried gelassen, der ihr mit dem Vieh half und ihr—wollte man Tante Min glauben - auch die Einsamkeit der Nächte erträglicher machte. Benbow saß auf dem Fußboden und spielte, er hörte ihr endloses Reden, verstand wenig und sagte nichts.
    Das Leben war erträglich für Nell - ganz erträglich. Aber die Sonntagabende in diesem Haus, die fremden Menschen, ihr lebhaftes Gerede und manchmal Streiten... und dann die Erinnerung an die Abende am Harmonium, nach dem Gottesdienst, an Cwm Rhondda, Aberystwyth, an die Chormusik und die wunderschönen Waliser Stimmen... die Sonntagabende waren blanke Verzweiflung.
    Doch noch war Samstag und sie war allein und hatte die Füße hochgelegt und ein Buch vor sich.
    Ein leises Klopfen am Fenster. Sie horchte. Noch einmal. Erschrocken legte sie das Buch weg.
    Die Verdunkelungsvorschriften waren streng, denn die Behörden waren der Ansicht, daß ein hochgeschobenes Verdunkelungsrouleau die gesamte deutsche Luftflotte anziehen würde wie das Licht die Motte. Deshalb ging Nell auf den Flur, tastete sich an der Wand entlang zur Haustür und machte sie vorsichtig auf. In der Dunkelheit konnte sie nicht gleich etwas sehen. Eine Stimme flüsterte: «Bist du das, Nell?»
    «Wer ist da?» flüsterte sie zurück.
    «Taffy. Kann ich rein?»
    «Taffy! Das geht doch nicht! Na, komm schon. Hier, nimm meine Hand.»
    Sie hatte Angst, aber sie fühlte sich freudig erregt und irgendwie zufrieden, als er ihre Hand ergriff und sie ihn durch den dunklen Flur in die helle warme Küche führte. Er kniff die Augen zusammen und lachte unsicher.
    «Du kannst nicht bleiben», sagte sie. «Das ist nicht recht. Nicht hier, in ihrem Haus.»
    Er breitete die Arme aus und sagte bittend: «Komm doch her, Liebes. Komm und gib mir ’n Kuß.»
    Aber sie blieb stehen. «Nein, Taffy, das geht nicht. Du hättest nicht kommen
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