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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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Zum ersten Mal seitdem ein gut gelaunter Hotelangestellter mit einer geblümten Stoffweste und einem roten Fes die Tür aufgeschlossen hatte, sah er sich um. Endlich fiel ihm das breite Bett auf. Der Rahmen war aus hellem Holz, die hohe, geschwungene Kopfstütze mit leuchtender schwarzweiß gestreifter Seide bezogen. David war nie weiter als nach Bournemouth an der englischen Südküste und zu einem Pfadfindertreffen nach Perth in Schottland gereist. Eine so pompöse Schlafstatt hatte er noch nicht einmal im Museum gesehen. Im Moment der staunenden Bewunderung nahm er sich gar vor, es seiner Schwester gleichzutun und auf der Reise Tagebuch zu führen. In seiner Hemdtasche entdeckte er den lange vermissten Kuli mit der glänzenden Kappe. Die Suche nach einem Ausdruck, um das Bett zu beschreiben, war weniger erfolgreich.
    »Kannst du fliegen?«, fragte er schließlich. Seine Stimme war dünn, fast weinerlich. Er hatte das Bedürfnis nach Dunkelheit und Kühle.
    Das Bett, von der Sonne bestrahlt, wurde von zwei Stehlampen mit weißen Schirmen flankiert. Es war prächtig und eines Königs würdig. David aber starrte das exquisite Stück mit dem Trotz eines Kindes an, das sich mit keinem Genuss der Welt für eine erlittene Kränkung entschädigen lässt. In seinen Augen war das Bett provozierend lang und viel zu breit. Durch sein bloßes Dasein erinnerte es David an den Umstand, dass er seit seiner Einschulung der Kleinste und Schmächtigste in der Klasse war. Seitdem hatte er zwar beachtenswerte Erfolge auf allen Gebieten verbuchen dürfen, bei denen es nicht auf einige Inches oder die Schuhgröße ankam, doch seine guten Zeugnisse und der Stolz seiner Familie hatten ihn nie auf Dauer mit seiner zierlichen Statur versöhnen können.
    Einen Moment verlangte es David, ins Nebenzimmer zu seinen Eltern zu gehen, nur Sohn und wieder Kind zu sein, gestreichelt zu werden und die Nelkenseife zu riechen, mit der sich seine Mutter wusch, soweit sich seine Nase zurückerinnern konnte. Sosehr er jedoch sein Hirn antrieb, um einen passenden Auftritt zu finden, es fiel ihm nicht ein, wie er den Eltern sein unerwartetes Erscheinen hätte erklären können, ohne dass sie ihn wie einen bedauernswerten Schwächling behandelten und ihm wieder die Tropfen vom Flugzeug aufdrängten. Es quälte David, dass es ihm nicht gelang, sich gegen seine schlechte Laune und gegen Ängste zu wehren, die noch nicht einmal konkret genug wurden, um sich ihnen zu stellen. Abermals fiel ihm auf, wie undankbar er war. Selbst die reichsten Jungen in der Klasse, die alle Ferien im Ausland verbrachten, hatten ihn beneidet, als sie von der Reise nach Kenia erfahren hatten.
    »Afrika«, hatte Jeffrey Gladbourne gesagt, »ist doch ganz was anderes als die Riviera. Die ist schon beim zweiten Mal so interessant wie ein Wadenkrampf.« Gladbournes Vater war hoher Beamter im Kolonialministerium.
    »Stopp, kehrt Marsch«, befahl David. Er hielt drei Finger in die Höhe - wie beim Pfadfindereid - und gelobte dem Besserung, dem er dienen wollte. Dann wurde er tatsächlich wieder Kind. Als wäre er Zentner schwer, warf er sich aufs Bett, drehte sich auf den Rücken, hielt kurz die Luft an, atmete prustend aus und schlug einen Purzelbaum, so plötzlich, dass er selbst staunte. »Tarzan is coming«, kreischte er.
    Davids Stimme überschlug sich; er fand sie aufgekratzt und anwidernd kindisch, dachte an fauchende Katzen und an die Mickymausfilme im Kino, die er nicht ausstehen konnte. Die Beine erlahmten. Ein Stechen in den Rippen, die Arme schwer, der Nacken steif wie ein Brett, keine Spur von der körperlichen Kraft und Behendigkeit, die er hatte demonstrieren wollen. Zwar überraschte ihn das Ergebnis nicht, doch er war immer wieder enttäuscht, wenn die Din-ge aus dem Lot zu laufen begannen. Seit dem Kindergarten übte der Unglückliche Purzelbäume, und jedes Mal hatte er dabei nur ein Ziel: so eindrucksvoll athletisch zu wirken wie seine Schwester. Bei Rose sah jeder Salto so aus, als wäre sie im Zirkus aufgewachsen. Ihr Bruder aber produzierte, wie die grazile Akrobatin jedes Mal angeekelt diagnostizierte, wenn er sie nicht rechtzeitig als ungebetene Zeugin wahrnahm und seine sportlichen Bemühungen vertagte, immer eine »Lachnummer von einem voll gefressenen Mops«. Diesmal gab David seiner unbarmherzigen Kritikerin sogar Recht.
    Statt elegant und ruhig atmend am Fußende des Bettes zu landen, stürzte er plump zu Boden, blieb liegen, die Augen geschlossen, die Arme
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