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Und dann kam Ute (German Edition)

Und dann kam Ute (German Edition)

Titel: Und dann kam Ute (German Edition)
Autoren: Atze Schröder
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hatte sich was einfrieren lassen.
Udo Jürgens – durch San Francisco in zerrissenen Jeans.
Lothar Matthäus – wollte es auch mal mit ’ner Oma probieren.
Christian Wulff – weil der doch jetzt keinen Beruf mehr hat.
Johannes B. Kerner – Mitleid.
    Ute lachte sich jedes Mal halb schimmelig über meine abstrusen Theorien. Als sie mir irgendwann unvermittelt mitteilte, dass es sich beim Erzeuger des Kindes um einen gewissen Thorsten handelte, der in Hamburg wohnte, hielt ich das erst nur für ein Ablenkungsmanöver. Aber dann merkte ich, dass sie es ernst meinte und dass sie über diesen Typen nicht sprechen wollte. Er spiele in ihrem Leben keine Rolle mehr, sagte sie. Also respektierte ich ihren Wunsch.

    Eines Tages stand ich erwartungsfroh mit meinem Kaffee am Fenster und wartete ungeduldig auf Utes Heimkehr aus dem Waldorf-Astoria. So nannte ich die Ilja-Rogoff-Waldorfschule, an der Ute als Lehrerin für die Oberstufe unterrichtete.
    Am besten gefielen mir die Geschichten über ihren Schulleiter Jürgen Brostek, einen verstrahlten Pädagogen mit dem Unterhaltungswert einer akuten Nagelbettvereiterung, der mit beflissenem Eifer Rudolf Steiners anthroposophischen Waldorfsalat als allein glücklich machende Doktrin durchpeitschte. Da passten alle Klischees: Namentanzen, Nackttöpfern, das Gartenabitur mit Echtmooszertifikat – nichts war ihm absurd genug. Im Prinzip war dieser Brostek so eine Art altmodischer, aber ökologischer Kim Jong-un – mit dem kleinen Unterschied, dass es in Nordkorea wahrscheinlich mehr zu lachen gibt. Eins musste man ihm aber lassen: Nerven hatte er!
    Ich kannte Brostek noch als langhaarigen Frontmann der Essener Metal-Rockband «Milzbrand», deren sensationelle Erfolglosigkeit Anfang der 80er Jahre selbst die besten Talentscouts der großen Plattenfirmen nicht erstaunt hat. Die bekloppte Idee, schlechtgespielten Dumpfrock mit unsäglichen deutschen Texten anzubieten, zeugt selbst heute, nach all den Jahren, von einer nicht zu übertreffenden Dämlichkeit. Ich habe meinen alten Siemens-Kassettenrecorder bis heute nur deswegen nicht weggeschmissen, weil ich noch im Besitz einer Kassette mit der Aufnahme von «Milzbrands» einzigem kläglichem Hitsingle-Versuch bin. Es handelt sich hierbei um ein jämmerliches Machwerk mit dem Titel «Hau weg das Volk!». Legendär ist der Kurzauftritt der unsäglichen «Milzbrände» beim damals nicht gerade üppig besuchten «Rock gegen links»-Festival hinter dem stillgelegten Lokschuppen des Essener Güterbahnhofs vor knapp hundert rechtsradikalen Eierköppen. Die Band war gerade erst auf der Bühne und irrte noch orientierungslos durch die erste Strophe ihres vermeintlichen Anheizerstücks «Volksempfänger», als schon die ersten Bierdosen Richtung Brostek flogen. Brostek, der selbstverliebt wie eine unglückliche Mischung aus Ozzy Osbourne und Marianne Rosenberg über die Bühne stolzierte, versuchte die aufgebrachte Menge mit einem beherzten «Verpisst euch, ihr Wichser!» zu besänftigen. Diesen tolldreisten Vorstoß hätte er fast mit seinem Leben bezahlt. Während er noch mit seiner staksigen Bühnenperformance – «Essen, are you alright?» – stramm Richtung Refrain marschierte, hatte sich der Rest seiner Truppe längst klammheimlich verdünnisiert und überließ ihren autistischen Frontmann dem tobenden Pöbel. Zum Glück traf Essens autonome Szene rechtzeitig am Auftrittsort ein, um den rechten Gesangsverein mit Pflastersteinen und Dachlatten auf links zu ziehen. Brostek kam mit ein paar Beulen, Kratzern und Bierflecken also noch glimpflich davon. Nach seinem abrupten Karriereende schlüpfte er dann ausgerechnet bei den birkenstockigen Anthroposophen unter. Wahrscheinlich hatte er, verpeilt, wie er war, beim Waldorfbegründer Steiner ans Eiserne Kreuz gedacht und nicht an Rübenkrautpädagogik. Als mir zum ersten Mal klarwurde, dass genau dieser Jürgen Brostek der Direktor von Utes Schule war, wusste ich sofort, dass ich die peinliche «Milzbrand»-Kassette wie meinen Augapfel hüten musste. Nur für den Fall, dass Brostek meiner lieben Nachbarin Ärger bereiten würde.

    Ich stand also mit einer dampfenden Tasse Kaffee Hag am Fenster und wartete darauf, dass Utes roter Twingo in unsere Straße einbog. Um ehrlich zu sein, konnte ich es kaum erwarten. Ich war fünf Tage auf Tour gewesen und freute mich auf ein Wiedersehen. Schon komisch: Diese Frau hatte nichts von dem, was mich an anderen Frauen begeisterte. Weder trug sie hohe
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