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Und dann gabs keines mehr

Und dann gabs keines mehr

Titel: Und dann gabs keines mehr
Autoren: Agatha Christie
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Owen – unglücklicherweise verspätet – nicht in der Lage, vor morgen hier zu erscheinen. Anweisungen – alles, was sie wünschten – wenn sie jetzt ihre Zimmer sehen wollten – Abendessen würde es um acht Uhr geben…
     

V
     
    Vera war Mrs. Rogers nach oben gefolgt. Die Frau hatte eine Tür am Ende des Gangs aufgestoßen, und Vera war in ein hübsches Zimmer eingetreten mit einem großen Fenster, das sich weit zum Meer hin öffnete, und einem weiteren, das nach Osten zeigte. Ihr entfuhr ein Laut des Entzückens.
    Mrs. Rogers sagte gerade: «Ich hoffe, Sie haben alles, was Sie brauchen, Miss.»
    Vera schaute sich um. Ihr Gepäck war hinaufgebracht und ausgepackt worden. Eine offene Tür an der einen Seite des Zimmers gab den Blick auf ein hellblau gekacheltes Badezimmer frei.
    «Ja, danke», antwortete sie schnell. «Es ist alles da, glaube ich.»
    «Klingeln Sie ruhig, wenn Sie etwas brauchen, Miss.»
    Mrs. Rogers sprach mit einer flachen, monotonen Stimme. Vera sah sie neugierig an. Was für ein weißes, blutleeres Gespenst von einer Frau! Sehr respektabel aussehend, mit dem straff aus dem Gesicht gekämmten Haar und dem schwarzen Kleid. Und den merkwürdig hellen Augen, die die ganze Zeit hin und her wanderten.
    «Sie sieht aus, als ob sie sich vor ihrem eigenen Schatten fürchtet», dachte Vera.
    Genau das war es – Furcht!
    Sie sah aus wie eine Frau, die von Todesangst ergriffen war…
    Ein Schauder lief Vera den Rücken hinunter. Wovor um alles in der Welt sollte diese Frau sich fürchten?
    «Ich bin Mrs. Owens neue Sekretärin», sagte sie freundlich. «Ich vermute, Sie wissen das.»
    «Nein, Miss. Ich weiß gar nichts. Ich habe nur eine Liste der Ladys und Gentlemen und welche Zimmer sie haben sollen.»
    «Mrs. Owen hat mich nicht erwähnt?», staunte Vera.
    Mrs. Rogers’ Augenlider flatterten.
    «Ich habe Mrs. Owen nicht gesehen – noch nicht. Wir sind erst vor zwei Tagen hierher gekommen.»
    Eigenartige Leute, diese Owens, dachte Vera. Laut sagte sie:
    «Wer arbeitet alles hier?»
    «Nur ich und Mr. Rogers, Miss.»
    Vera runzelte die Stirn. Acht Leute im Haus – zehn mit dem Gastgeber und der Gastgeberin – und nur ein Ehepaar, um sie zu versorgen.
    «Ich bin eine gute Köchin», sagte Mrs. Rogers. «Und Rogers kümmert sich ums Haus. Ich wusste natürlich nicht, dass es eine so große Gesellschaft sein würde.»
    «Sie kommen doch zurecht?», fragte Vera.
    «Aber ja, Miss. Ich komm klar damit. Wenn es öfter so große Gesellschaften gibt, könnte Mrs. Owen vielleicht noch jemand zusätzlich einstellen.»
    «Ja, das könnte sie wohl», gab Vera ihr Recht.
    Mrs. Rogers wandte sich zum Gehen. Ihre Füße bewegten sich lautlos über den Boden. Sie huschte wie ein Schatten aus dem Raum.
    Vera ging zum Fenster hinüber und setzte sich auf die Fensterbank. Sie war ein wenig beunruhigt. Alles war irgendwie seltsam. Die Abwesenheit der Owens, die bleiche, geisterhafte Mrs. Rogers. Und die Gäste. Ja, auch die Gäste waren merkwürdig. Eine eigenartig zusammengewürfelte Gesellschaft.
    «Ich wünschte, ich hätte die Owens schon einmal gesehen», dachte Vera. «Ich wünschte, ich wüsste, was für Menschen das sind.»
    Sie stand auf und lief ruhelos durch das Zimmer.
    Ein perfekter Raum, ganz im modernen Stil eingerichtet. Blendend weiße Läufer auf dem glänzenden Parkett –, sanft getönte Wände –, ein hoher Spiegel umrahmt von Leuchten. Ein Kaminsims ohne Zierobjekte, nur mit einem großen Marmorblock in Form eines Bären, eine moderne Skulptur, in die eine Uhr eingelassen war. Darüber hing in einem großen, glänzenden Chromrahmen ein Stück Pergament – ein Gedicht.
    Sie stellte sich vor den Kamin und las. Es war ein alter Kinderreim, an den sie sich noch aus ihrer Kindheit erinnerte.
     
    Zehn kleine Negerlein,
    die zechten in der Scheun.
    Eins verschluckte sich dabei,
    da waren’s nur noch neun.
     
    Neun kleine Negerlein,
    die blieben nachts lang wach.
    Eins schlief dann fest für immer ein,
    da waren’s nur noch acht.
     
    Acht kleine Negerlein,
    die reisten mal nach drüben.
    Eines blieb für immer dort,
    da waren’s nur noch sieben.
     
    Sieben kleine Negerlein,
    die holzten wie der Specht.
    Eines holzte sich entzwei,
    da waren’s nur noch sechs.
     
    Sechs kleine Negerlein,
    die liefen ohne Strümpf’.
    Eines stach die Biene tot,
    da waren’s nur noch fünf.
     
    Fünf kleine Negerlein,
    die stritten sich ums Bier.
    Eins holte sich der Scharfrichter,
    da waren’s nur noch
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