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Unbeugsam

Unbeugsam

Titel: Unbeugsam
Autoren: Laura Hillenbrand
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Class-A-Verbrechen ausstand – als solche wurden die Taten der Männer |451| klassifiziert, die kriegswichtige Entscheidungen getroffen hatten. 18 Die Angeklagten wurden freigelassen, und einige machten dann später beachtliche Karrieren; der einstige Angeklagte Nobusuke Kishi, dem zur Last gelegt wurde, Tausende Chinesen und Koreaner zu Zwangsarbeit verurteilt zu haben, wurde im Jahr 1957 Premierminister von Japan. 19 Die amerikanischen Verantwortlichen rechtfertigten die Zurücknahme der Anschuldigungen zwar damit, dass es kaum möglich sein werde, die Angeklagten der Verbrechen tatsächlich zu überführen, doch das sind fragwürdige Argumente; mehr als zwei Dutzend Class-A-Angeklagte waren schon vor Gericht gestellt worden, und alle hatte man für schuldig befunden. Selbst die Japaner waren überwiegend überzeugt, dass zumindest einige der entlasteten Männer schuldig waren. 20
    Zehn Monate später wurden die Prozesse gegen Class-B- und -C-Angeklagte eingestellt – gegen die Männer also, die beschuldigt wurden, Misshandlungen und sonstige Greueltaten angeordnet oder ausgeführt zu haben. Ein Armeeoffizier namens Osamu Satano war der Letzte, der von den Vereinigten Staaten unter Anklage gestellt wurde. 21 Das verhängte Urteil entsprach der allgemeinen Atmosphäre von Versöhnung; wegen der Enthauptung eines Fliegers wurde er zu lediglich fünf Jahren Haft verurteilt. Zu Beginn des Jahres 1950 ordnete MacArthur an, dass die Haftzeiten bei guter Führung reduziert werden konnten; lebenslange Haft konnte nach 15 Jahren in Haft auf Bewährung umgewandelt werden. 22 Dann unterzeichneten die Alliierten und Japan im Jahr 1951 den Friedensvertrag, mit dem die Besatzung für beendet erklärt wurde. Mit dem Vertrag wurde das Recht ehemaliger Kriegsgefangener und ihrer Angehörigen für nichtig erklärt, Reparationszahlungen vom japanischen Staat und den japanischen Firmen einzufordern, die von der Versklavung der Gefangenen profitiert hatten. 47* 23 Schließlich wurde unmittelbar vor Inkrafttreten des Vertrags im März 1952 auch der Haftbefehl gegen flüchtige Kriegsverbrecher aufgehoben. 24 Watanabe |452| stand zwar noch auf der Fahndungsliste, doch eigentlich wurde allgemein angenommen, dass er nicht mehr am Leben war.
    Watanabe reagierte mit Argwohn auf den Bericht. Er befürchtete eine Falle der Polizei und kehrte daher zunächst nicht zu seiner Familie zurück. Einen großen Teil des Frühjahrs arbeitete er als Fischhändler, ständig verfolgt von der Frage, ob er nun ein freier Mann war oder nicht. Schließlich beschloss er doch, zu seiner Mutter zurückzukehren.
    Watanabe läutete, nichts rührte sich. Er läutete ein zweites Mal, diesmal länger, und jetzt hörte er, dass jemand auf das Gartentor zukam. Das Tor ging auf, und er schaute in die Augen seines jüngsten Bruders, der, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, noch ein kleiner Junge gewesen war. Sein Bruder umarmte ihn stürmisch, zog ihn ins Haus und jubelte: »Mu-cchan ist wieder da!«
    Mutsuhiro Watanabes Flucht war zu Ende. Während der Zeit, da er untergetaucht war, waren viele seiner Wachkollegen und Lagerkommandanten wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. Einige wurden hingerichtet. Diejenigen, die noch am Leben waren, hatten nur noch kurze Zeit in den Gefängnissen vor sich. Gemäß den amerikanischen Bemühungen, sich mit Japan gut zu stellen, wurden alle, auch diejenigen, die zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden waren, auf Bewährung freigelassen. Allem Anschein nach wurde sogar Sueharu Kitamura, »der Quacksalber«, freigelassen, obwohl ihn das Gericht zum Tod verurteilt hatte. Bis 1958 waren alle nicht hingerichteten Kriegsverbrecher wieder auf freiem Fuß, und am 30. Dezember desselben Jahres wurde eine Generalamnestie ausgesprochen. 25 Sugamo wurde abgerissen, und im Gedächtnis der Welt verblasste die Erinnerung an die ungeheuerlichen Torturen, denen die Kriegsgefangenen in Japan damals ausgesetzt waren.
    Watanabe gab später zu, dass er sich unmittelbar nach dem Krieg die Frage gestellt hatte, ob er nun schuldig war oder nicht. Letztendlich sah er die Schuld nicht bei sich selbst, sondern bei dem »sündhaften, absurden, wahnsinnigen Krieg«. 26 Er selbst sei ein Opfer gewesen. Wenn er wegen seiner Taten Gewissensbisse empfand, so wischte er sie beiseite, indem er sich weismachte, die Aufhebung des Haftbefehls sei praktisch gleichbedeutend mit der Aufhebung seiner persönlichen Schuld.
    1956 schrieb er: »Ich war einfach sehr
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