Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman
Autoren: Tom Winter
Vom Netzwerk:
im Handumdrehen vorbei.«
    »Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagt sie, »probiere ich mein Glück noch einmal.«
    Sie geht zurück zur Toilettentür und klopft leise an.
    »Bob, ich bringe dich jetzt nach Hause, okay? Ich kann dich doch nicht hierlassen.«
    Das Schrillen der Sirene schwillt zu einem ohrenbetäubenden Crescendo an und bricht dann genau vor dem Haus ab. Offenbar hat das Löschfahrzeug seinen Einsatzort erreicht.
    »Bob?«
    »Deine Mutter hat angerufen.«
    »Wie bitte?«
    »Deine Mutter hat gestern angerufen. Sie sagt, sie erreicht dich nie auf dem Handy.«
    »Bob, das spielt doch jetzt keine …«
    »Ich hab vergessen, es dir auszurichten.«
    »Das macht nichts, Bob. Wirklich nicht.«
    »Das sagst du doch bloß, weil du sie hasst.«
    Carol wirft einen Blick auf die Arzthelferin und Doktor Singh, die sich kein Wort entgehen lassen.
    »Bob, ich hasse meine Mutter nicht. Und wenn, wäre es jetzt auch egal, oder? Komm mit nach Hause, da hast du es doch viel bequemer.« Verzweifelt überlegt sie, womit sie ihn sonst noch locken kann. »Wir könnten Doctor Who gucken.« Bob schweigt. »Und im Kühlschrank wartet ein leckerer Nachtisch auf dich.«
    Sekunden später geht mit einem Klick die Tür auf. Carol schlägt eine Wolke Kiefernduft aus einem Lufterfrischer entgegen.
    »Was für ein Nachtisch?«

10
    Gloria hat sich während Alberts Behördengang nicht von der Stelle gerührt. Was im Grunde nicht weiter verwunderlich ist, da sie ja zur Hälfe im Gips steckt. Wie sie da, halb verkrüppelt, auf dem Wohnzimmerfußboden liegt, mit einem Strick an den Esstisch gefesselt, muss Albert an die Poster vom Tierschutzverein denken. Der Tierquälerei ein Ende! Spenden Sie jetzt!
    Er sieht ein, dass er ihre motorischen Fähigkeiten offenbar überschätzt hat, und bindet sie los.
    »Na, besser so?«
    Eine blödsinnige Frage, das merkt er selbst. Mit ihren zwei Gipsbeinen kann sie eine Schnur um den Hals wahrscheinlich auch nicht mehr sehr erschüttern.
    »Ich repariere jetzt die Wand. Wenn du willst, kannst du zugucken.« Er muss an Max’ Bemerkung denken. »Und wenn du ein braves Mädchen bist, kaufe ich dir demnächst mal ein paar Blumen. Würde dir das gefallen?« Sie starrt ihn an, als er das Fenster öffnet. »Das hätte ich schon längst mal machen können«, murmelt er, »aber ich kann ja schließlich keine Gedanken lesen.«
    Unter Glorias unverwandtem Blick beugt er sich hinaus, um die Außenmauer näher in Augenschein zu nehmen. Ein tiefer Riss zieht sich ungefähr an derselben Stelle über die Fassade, wo innen der Schimmelfleck prangt.
    »Da haben wir den Übeltäter ja schon.« Als Albert an der Hauswand nach unten sieht, sechs Stockwerke tief, bleibt ihm das Herz stehen. »Da geht’s ganz schön runter, was? Aber wem sag ich das?«
    Weil er sich vor Gloria keine Blöße geben will, kratzt er mit dem Spachtel eine Portion Kitt aus der Dose und steigt aufs Fensterbrett.
    »Das ist bloß die Arthritis«, erklärt er, als ihm die Beine zittern. »Ich bin auch nicht mehr so jung, wie ich mal war.«
    Er hält sich mit der einen Hand am Rahmen fest, beugt sich weit hinaus und schmiert den Kitt in den Riss. Auch wenn das Problem damit noch nicht gelöst ist, wäre immerhin ein Anfang gemacht.
    Unter heftigem Herzklopfen klettert er wieder ins Zimmer. »Das war ja gar nicht so schwierig.«
    Mit schlotternden Knien hebt er die Schnur auf und bindet sie Gloria wieder um den Hals. Das andere Ende knotet er sich an eine Gürtelschlaufe.
    »Nicht, dass ich mir Sorgen mache, aber wenn mir etwas passiert, bleibst du wenigstens nicht allein zurück.« Als sich ihre Augen weiten, fasst er das als Zustimmung auf. »Genau. Ich liebe dich auch.«
    Zehn Minuten später ist die Fassade mit dick aufgeklatschtem Kitt und unzähligen Fingerabdrücken verschandelt. Schön sieht es nicht aus, aber schließlich ist das Haus auch nicht gerade ein Schmuckstück.
    Einem Tandemsprung mit Albert noch einmal entkommen, sieht Gloria ihm zu, wie er als Nächstes auf einen Stuhl kraxelt und sich die Wohnzimmerwand vornimmt. Durch das Auftragen des Desinfektionsmittels verwandelt sich der Schimmel in dünne grüne Schlieren, die darunter liegende Farbe kann dem chemischen Angriff nichts entgegensetzen und löst sich langsam auf. Bereits nach kurzem Wischen sieht die Wand um einiges schlimmer aus als in den bisherigen vierzig Jahren ihres Bestehens.
    »Na, wenigstens ist jetzt das pelzige Zeug runter, und das ist ja anscheinend das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher