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Umzug ins Glück

Umzug ins Glück

Titel: Umzug ins Glück
Autoren: dtv
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Seminararbeit und die Frage, ob ich aus Kostengründen jetzt im Frühjahr noch mal Heizöl bestellen sollte oder ob es wohl besser
     war, das erst im Herbst zu tun. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt noch einschlafen konnte.

3
    Als ich am nächsten Morgen aufstand, war Jan Hörnum bereits fort. Ob er beschlossen hatte, zu seinem Auto zu wandern, oder
     ob er sich ein Taxi gerufen hatte, war nicht zu erkennen. Aber er hatte offensichtlich die Zeitung studiert, sich einen Kaffee
     gemacht, ohne danach die Maschine wieder auszustellen, hatte seine Zahnbürste strategisch sichtbar in den Mülleimer geworfen
     und war weg.
    Nun ja. So ging es auch. Dadurch hatte ich deutlich mehr Ruhe, mich für die Arbeit fertig zu machen und zu frühstücken. Ich
     rief noch rasch bei Paula an, die aber um diese Zeit genauso wenig gesprächig ist wie ich, und machte mich dann auf den Weg.
    Im Büro platzte ich gerade in die Diskussion über die Frage, ob Ravioli ein vegetarisches Gericht seien.
    »Natürlich nicht«, sagte Lea. »Da ist doch ganz eindeutig Fleisch drin.« Sie trug heute eine seltsame bräunlich-rote Leinenbluse
     (vielleicht waren sie durch die Farbe überhaupt auf das Thema Ravioli gekommen?), die ihr weder von Farbton noch Schnitt her
     besonders gut stand. Ich fragte mich, wer von uns wohl die Aufgabe übernehmen könnte, ihr das möglichst taktvoll zu sagen,
     aber bis auf mich selbst kam ich auf niemanden.
    »Also in den Ravioli, die ich für meine Kinder manchmal mache, ist so gut wie keins drin«, behauptete Doris.»Eigentlich sollten die auf die Dose schreiben: ›Kann Spuren von Fleisch enthalten.‹ Insofern kann man das ruhig zu den vegetarischen
     Gerichten rechnen.«
    Ich schlängelte mich an ihnen vorbei (okay, bei meinem Umfang passt das Schlängeln nicht mehr so recht, aber ›ich riesenschlangte
     mich vorbei‹ hab ich noch nie gehört), um meinen Schreibtisch zu erreichen und den Computer einzuschalten. Wieso überhaupt
     jemand freiwillig Ravioli essen konnte, erschloss sich mir eh nicht, deswegen hielt ich diese Diskussion eher für müßig. Und
     ich hatte wahrlich genug andere Dinge, die mir durch den Kopf gingen. Wieso war Jan Hörnum heute früh so sang- und klanglos
     abgehauen? Wie lange musste Paula im Krankenhaus bleiben – und was würde dann mit ihr passieren? Denn auch wenn es sich nur
     um eine Oberschenkelfraktur und nicht um einen Oberschenkelhalsbruch handelte, würde sie eine Weile nicht wirklich mobil sein,
     und das war schwierig für jemanden, der allein in einem Haus mit zwei Etagen lebte.
    »Es reicht schon, wenn die Füllung mit Rinderbrühe zubereitet wurde«, behauptete jetzt Lea. »Echte Vegetarier lehnen das ab.«
    »Echte Vegetarier haben einen an der Waffel«, bemerkte Horst, der gerade auf seine Einzelzelle zusteuerte. Er kann so was
     sagen, zum einen weil er der Chef ist, zum anderen weil er aus Erfahrung spricht. Er hat nämlich selber einen an der Waffel.
     Wobei er natürlich auch frühkindlich geschädigt ist. Ich meine, was sind das für Eltern, die ihren Sohn Horst nennen, wenn
     sie bereits mit Nachnamen Adler heißen? Vermutlich musste er sich dieses arrogante bis chauvinistische Getue, mit dem er uns
     alle nervt, schon als Sechsjähriger zulegen, um in der Grundschule zu überleben. Auf jeden Fall sind wir froh, dass er meistens
     in diesem winzigen Chefbüro sitzt unddeshalb nur selten seine unqualifizierten Kommentare zu unseren Gesprächen abgibt.
    Doris wartete ab, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, und rief ihm dann halblaut nach: »Selber Vegetarier!«
    »Das stimmt aber!« Jetzt mischte sich auch noch unsere Auszubildende Mandy ein. »Ich kenne eine Frau, die isst noch nicht
     mal Wurst.« Sie dachte einen Moment nach und setzte dann hinzu: »Und zu McDonald’s geht sie auch nicht.«
    »Das tun auch Leute, die keine Vegetarier sind«, sagte Lea. »Das spricht eher für ihren guten Geschmack.«
    »Guten Geschmack hat die aber nicht«, erklärte Mandy. »Die hört Volksmusik. Wildecker Herzbuben und so. Und Freddy Quinn.«
    »Der lebt noch?«, fragte Lea ungläubig.
    »Selbst wenn er tot ist, kann man ihn noch hören«, sagte Doris. »Dafür gibt’s Platten und so.«
    »Wenn man möchte«, schränkte Lea ein. »Aber wer möchte das?«
    Sofort fiel mir wieder dieser verrückte Jan Hörnum ein, mit seinem hellen Anzug und dem dramatisch wallenden Haupthaar. Wenn
     ich den anwesenden Damen jetzt erzählte, dass er bei mir übernachtet
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