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Umzug ins Glück

Umzug ins Glück

Titel: Umzug ins Glück
Autoren: dtv
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dass man für sein Glück aktiv etwas tun muss.«
    »Zum Beispiel?«, fragte ich. Seinen Beitrag fand ich seit langer Zeit zum ersten Mal beachtenswert.
    »Man muss ein Ziel vor Augen haben«, sagte er. »Und wenn man dieses Ziel kennt, dann wird man auch die Wegzeichen erkennen,
     die einen dorthin bringen.« Um das zu unterstreichen, reckte er selbstbewusst sein Kinn nach oben. »Allerdings finde ich,
     dass dieses ganze Getue um Religion und so was nur von diesem Ziel ablenkt und es verschleiert.«
    »Interessant«, murmelte ich, leicht unsicher, wie ich darauf reagieren sollte. Auch wenn ich kein eifriger Kirchgänger bin,
     wollte ich ihm nicht in der Ansicht zustimmen, dass Religion nur Getue war.
    »Und unser Ziel«, fuhr er fort, »ist die Verfolgung von Nachlassangelegenheiten. Also zur Sache, meine Damen.«
    Sein Ziel war offensichtlich die Toilette. Doris rolltemit den Augen. »Wenn das mit der Wiedergeburt stimmt«, sagte sie, »dann
     wünsche ich mir, dass er im nächsten Leben ein Käfer ist. Und ich will die Kuh sein, die ihm auf den Kopf kackt.«
     
    Nach der Arbeit fuhr ich direkt zu Paulas Haus und suchte die Dinge zusammen, die sie hatte haben wollen. Eigentlich ist das
     Haus nicht besonders groß – im Erdgeschoss die Küche, Wohnzimmer, Esszimmer, ein Gästebad und Onkel Rudolfs Arbeitszimmer,
     das Paula sich nach seinem Tod als Hobbyraum eingerichtet hatte. In der oberen Etage dann drei Zimmer und das Badezimmer,
     in dem sie ihren Unfall hatte. Aber weil jeder Zentimeter des Hauses mit Sachen vollgestopft war, fühlte sich so ein Besuch
     an wie eine Dschungelexpedition.
    Als Kind schon hatte mich diese Ansammlung von Gegenständen fasziniert. Tante Paula hatte ein Faible für das Basteln und Handarbeiten,
     das ich in gewissem Maße von ihr abgeguckt habe. Dazu gehört leider auch der tief verwurzelte Verdacht, dass man fast alle
     Sachen noch für irgendwas gebrauchen kann. Während meine Mutter leere Klorollen oder Streichholzschachteln mit einem gewissen
     Widerwillen und nur deshalb über einen längeren Zeitraum hortete, weil die Tanten im Kindergarten oder später die Kunstlehrerin
     das angeordnet hatten, ließen sich bei Tante Paula die tollsten Dinge zum Basteln entdecken, und sie war auch immer bereit
     zu Experimenten: Ob man die Kugeln aus leeren Deorollern noch zu irgendwas verwenden konnte. Was passierte, wenn man mit vielen
     Nähgarnfäden häkelte. Oder ob man Kastanien am Einschrumpeln hindern konnte, wenn man sie mit klarem Nagellack versiegelte.
     Im Zweifelsfall ließ ich meine Mutter mit solchen Dingen in Ruhe und ging direkt zu Tante Paula, die auch meistens ein offenes
     Ohr und viele hübsche, brauchbare Kleinigkeiten für mich hatte. Schwierig war es nur, wenn Nick da war, weil er dazu neigte,
     unsere Bastelaktionen zu sabotieren.
    Erst später begann ich, Tante Paulas Sammelwut mit mehr Skepsis zu betrachten. Vielleicht weil ich durch diestetigen Auseinandersetzungen mit Stephan, der von uns beiden der Wegschmeißer war, dafür sensibilisiert war. Und weil sogar
     mir, die ich für mindestens zehn Pullover Wolle im Keller verwahrte, sich die Notwendigkeit für eine Tüte leerer Papprollen
     nicht mehr erschloss, zumal es weit und breit kein Kindergartenkind mehr gab, für das sie die sammeln musste.
    Zum Glück hatte Paula genau angegeben, wo sich die Sachen, die sie brauchte, befanden, sonst hätte ich niemals alles gefunden.
     Mit dem Gewünschten ausgerüstet fuhr ich ins Krankenhaus, in der Hoffnung, Paula dieses Mal allein anzutreffen, damit ich
     mal in Ruhe mit ihr reden konnte. Aber leider hatte ihre violett getönte Nachbarin ebenfalls Besuch – den Ehemann, der ungefähr
     so farblos wirkte wie seine beigefarbene Windjacke, und die Tochter, eine geschwätzige Frau mit schwarz gefärbten Haaren,
     die unentwegt von irgendwelchen Belanglosigkeiten redete. Ihr einziger Pluspunkt war, dass sie mich um mindestens zwei Konfektionsgrößen
     übertrumpfte. Ich fühle mich immer etwas besser, wenn ich nicht die dickste Person im Raum bin. Aber die Art, wie sie das
     Zimmer mit ihrer lauten Stimme ausfüllte, war nervtötend.
    Und nicht nur das. An Paulas Bett saß auch Nick, seit vierzig Jahren mein ärgster Konkurrent um ihre Gunst. Unglaublich, dass
     ich ihm schon so lange aus dem Weg zu gehen versuchte, auch wenn das nicht immer möglich war. Bei jeder Familienfeier war
     er anwesend, so als wollte er mir zu verstehen geben, dass er rein rechtlich die
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