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umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

Titel: umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
Autoren: Minck
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Maggie Abendroth nicht.
    Täglich fuhr ich diesen gelben Zweihunderter mit dem Taxi gleich zu Beginn meiner Nachtschicht wieder zurück zum Bestattungsinstitut, bahnte mir einen Weg durch Farbeimer, Leitern, Pinsel, Spachtel und sonstige Baumarktutensilien auf der Suche nach einem freien, sauberen Plätzchen für den Briefumschlag. Mittlerweile redeten Matti und ich so gut wie überhaupt nicht mehr miteinander. Sobald er den Benz kommen hörte, verschwand er im Keller, wo sich die Thanatopraxie, Kühl- und Aufbahrungsräume befanden, und wartete dort, bis ich wieder gegangen war. Ich konnte so oft rufen, wie ich wollte, er kam nicht nach oben. Das mochte wohl daran liegen, dass ich ums Verrecken weder seinen Zweihunderter noch sein Jobangebot annehmen wollte. Nein, wollte ist nicht das richtige Wort – ich konnte einfach nicht. Wie sollte ich hier wieder arbeiten, in den ehemaligen Räumen von Pietät Sommer? Nach allem, was hier passiert war? Schon, wenn ich beim Reinkommen die Türglocke hörte, bekam ich Schnappatmung – und der Gedanke, in den Keller hinunterzugehen, verschaffte mir beinahe Ohnmachtsanfälle. Ich hatte es ehrlich versucht – aber es ging nicht. Wenn ich nur in die Nähe der Wendeltreppe kam, hatte ich den Refrain aus ›Mitternacht in Trinidad‹ von den Flippers in den Ohren. Und wenn ich nicht die Flippers im Kopf hatte, hörte ich die letzten drei rasselnden Atemzüge des sterbenden Ex-Kommissars Kostnitz, der im Kühlraum in meinen Armen verblutet war. Ich bin den Umgang mit Gespenstern aus der Vergangenheit durchaus gewöhnt, aber diese Gespenster waren mir eine Nummer zu groß.
    Wie schaffte es Matti an diesem grauenvollen Ort, wo er, wie ich vermutete, die schlimmsten Stunden seines Lebens verbracht hatte, so vergnügt den Pinsel zu schwingen und sich Gedanken über seine Werbemaßnahmen zu machen?
    »Man muss die Toten ruhen lassen, Frau Margret«, hatte er gesagt.
    »Ja, wie jetzt? Das soll alles sein? So simpel ist das? Wissen Sie, Herr Matti, Sie haben eine Art, die Dinge auf einen so kleinen Nenner zu bringen, dass sie unsichtbar werden. Aber nur für Sie. Für mich sind sie präsent wie eh und je. Da könnte ich mir tausendmal sagen, Maggie, lass die Toten ruhen. Aber die Schlingel tun mir den Gefallen einfach nicht.«
    »Richtig ruhen lassen.«
    »Und wie geht das?«
    »Man tut die Dinge, die vor der Nase liegen. Sonst nichts. So lange, bis die Verwirrung aufhört.«
    »Ist das eine Erkenntnis, die Sie aus dem Knast mitgebracht haben?«
    »Ich hatte viel Zeit, um nachzudenken.«
    »Tja, die habe ich nicht gehabt. Vielleicht kommt mir eines Tages auch noch eine Erleuchtung. Mir klebt alles an den Hacken: mein Ex, die Morde im Winter und die Morde im Sommer und meine Schreibblockade. Von den anderen Schwierigkeiten mal ganz zu schweigen. Und täglich kommt noch irgendwas dazu. Ich will es mal so formulieren: Während in Villariba auf’m Friedhof die Sargdeckel zu sind, ist in Villabacho der Totentanz noch voll im Gange.«
    »Wo?«
    Ich hörte seine erstaunte Nachfrage schon gar nicht mehr, so sehr war ich über seine Lebenshilfeweisheiten in Rage geraten. Ich wollte nicht tun, was vor der Nase war – ich wollte einfach nur vergessen. Je mehr ich vergessen wollte, desto wilder tanzten die Skelette auf meinen Gräbern. Und weil ich schon so schön in Fahrt war, war ich mit der Wahrheit herausgeplatzt, dass ich ihn mit meinem Versprechen, für ihn zu arbeiten, reingelegt hatte. Anders hatte ich ihn nicht dazu bringen können, auf die Verteidigungsstrategie seines Anwaltes einzugehen. Ich hatte gelogen, um ihn davor zu bewahren, für zehn Jahre oder mehr in den Knast zu wandern.
    »Sie haben mich angelogen?«
    »Ja! Für einen guten Zweck. Sie sind frei – Sie können Ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen – Tote zur Ruhe betten. Also hat es doch funktioniert, oder?«
    Nach diesem Wortwechsel war er im Keller verschwunden, und seitdem beschäftigten wir uns mit diesem unsinnigen Briefwechsel. Vermutlich würde Matti das bis zum Jüngsten Tag durchhalten. Aber ich nicht. Mir machte es keinen Spaß, wochenlang ein und denselben Brief mit ein und demselben Geldschein zwischen Bochum-Wiemelhausen und der City hin und her zu fahren. Und noch viel weniger Spaß würde es mir machen, das Geld von Matti anzunehmen. Er hatte seine ›Schulden‹, die natürlich nur in seinem Kopf existierten, mehr als reichlich abbezahlt. Was konnte ich dafür, dass er der Überzeugung war, dass ich
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