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umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

Titel: umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
Autoren: Minck
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wollten, und einen Toilettentopf, unbefestigt.
    Wenn sie bei den Aufräumarbeiten nach der großen Oderflut denselben Enthusiasmus an den Tag legen wie die Handwerker, die meine Kellerwohnung wieder bewohnbar machen sollten, steht dem Land ein Rücksturz ins finstere Mittelalter unmittelbar bevor.
    Ich für meinen Teil hatte keine andere Wahl, als darauf zu warten, endlich wieder einziehen zu können. Eine neue Wohnung suchen? Wovon denn? Ich hätte noch nicht einmal das Geld, um mir einen halben Eimer Farbe zu leisten, geschweige denn eine Kaution zu bezahlen. Und wer nimmt schon eine Freiberuflerin, deren ganze Karriere daraus besteht, dass auf ihrer Akte ein fetter Stempel ›Schnee-von-gestern‹ prangt.
    Seit ein paar Wochen fuhr ich Taxi für den Kiezkönig Kieslowski – vorzugsweise in der Nachtschicht, und an so manchem Morgen wusste ich nicht, wie ich mein Frühstücksbrötchen bezahlen sollte. Aber dieser Job war besser als gar nichts. Ich hätte noch für 3,50 Euro pro Stunde in einer Spielhalle als Aufsicht anfangen können, aber Kieslowski hatte die besseren Argumente: ein Auto und ein Diensthandy.
    Die Wohnung, in deren Küche ich saß und ein original Residents- Plakat von 1983 anstarrte, gehörte mir nicht. Der Stuhl, auf dem ich saß, und das Bett, in dem ich schlief, auch nicht. Das, was mir in dieser Küche gehörte, war der kleine Espressokocher von Bialetti und eine Tasse mit dem Werbeaufdruck von Bad Camberg. Kein würdiger Ersatz für meine Lieblingstasse, die mit dem Gesicht von Prince Charles. Die war vor ein paar Wochen in so kleine Stücke zerborsten, dass sie nicht mehr zu retten gewesen war. Konnte es ein besseres Bild für meinen derzeitigen Seelenzustand geben? An manchen Tagen wünschte ich mir etwas weniger Klischee in meinem Leben, aber warum sollte mein Leben interessanter sein als die Drehbücher, die ich früher geschrieben hatte?
    Die Wohnung befand sich über meiner Stammkneipe, dem Café Madrid, und gehörte dem Kneipenwirt und schlechtesten Küsser vom Revier, Kai-Uwe Hasselbrink, der mit seiner neuen Freundin, der irrsinnigen grünen Rita, und ihrem dämlichen Köter Willy einen Hippie-Revival-Urlaub ›Im-VW-Bus-quer-durch-Europa‹ verbrachte. Dabei verprassten sie die Abfindung von Ritas Ex-Ehemann. Mir hatte sie nicht mal 100 Euro dagelassen, obwohl sie ohne mich und meinen selbstmörderischen Einsatz nicht einen Cent gesehen hätte. Mir blieb immerhin noch die Hoffnung, dass sich Kai-Uwe und Rita bei ihrer Europatour gegenseitig totquatschten – dann müsste ich hier nicht wieder ausziehen. Wäre auch eine Lösung, mit der ich gut klarkommen könnte.
    Die beiden schwebten also auf Wolke 7, wie eigentlich alle meine Freunde. Sogar Herr Matti. Der schweigsame finnische Thanatopraktiker verlor zwar so gut wie kein Wort über seine Befindlichkeiten, aber er bastelte enthusiastisch an seiner Zukunft. Dr. Dr. Herzig, der beste Anwalt von ganz Bochum, hatte ihn mit Bravour durch seinen Mordprozess gepaukt. Aus Mord wurde, ohne auch nur einen Umweg über Totschlag zu nehmen, Notwehr in zwei Fällen … So kann es gehen, wenn man, wie Matti, an den richtigen Stellen den Mund hält und das Reden seinem Anwalt überlässt. Ich hatte vor Gericht nur eine winzige Komparsenrolle gehabt. Vier Sätze, die Herzig vorher mit mir geprobt hatte. Und sie waren so gut gewesen, dass der Staatsanwalt keine weiteren Fragen mehr hatte. Was ich schade fand. Aber wenn es der Wahrheitsfindung dient, mache ich alles – auch in vier Sätzen. Schließlich waren wir alle heilfroh, dass die Geschichte für Matti gut ausgegangen war. So gut, dass er, seit vier Wochen auf freiem Fuß, bereits mit den Renovierungsarbeiten in seinem Bestattungsinstitut begonnen hatte und mich zum Wahnsinn trieb. Seit er in der Untersuchungshaft Lesen und Schreiben gelernt hatte, gab es kein Halten mehr. Ich bekam täglich Post von ihm, immer einen Zweihundert-Euro-Schein im Umschlag mit seiner eindringlichen Bitte, diesen anzunehmen, damit ich meine Kreditraten weiter abbezahlen konnte. Diese Altschulden waren mir als Kriegsverletzung aus dem Trennungsscharmützel mit dem Knipser geblieben, und sie würde noch lange schmerzen, obwohl der Krieg längst vorbei war. Ich hatte nämlich versucht, nach der Trennung meine geschundene Seele mit einem sehr teuren Urlaub zu kurieren, was selbstverständlich nicht funktioniert hatte. Ein neuer Haarschnitt wäre billiger gewesen. Das macht aber jede Trennungsgeschädigte – nur
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