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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Autoren: Stefan Wolf
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Freiluft-Schlafs.
    Er war steifgefroren, stand auf, reckte
und dehnte sich minutenlang — nach der Methode der Tiger und Panther, deren
Stretching ( Dehnen, Strecken und Recken von Muskeln, Gelenken und
Wirbelsäule ) er sich im Zoo abgeguckt hatte.
    Das erwärmte. Die Restmüdigkeit
verflog. Die Singvögel sahen ihm zu. Daß sie Flügel und Gefieder spreizten,
konnte Zufall sein. Aber vielleicht taten sie’s dem Vorturner nach.
    Kein Werdy ist gekommen, dachte er. Das
heißt, es sieht schlecht aus um Tanja. Aber nur einerseits. Andererseits kennen
wir, falls meine Theorie zutrifft, ihre Entführer. Sobald wir also die beiden
Käsefahrer haben, ist Tanja gerettet.
    Er trug Matratze und Zeltplane zum Hof
zurück, holte sein Rad und strampelte durch menschenleere Straßen zum Internat.
    Heute war Samstag. Da lief alles
gemächlicher.
    Auf den Feldern hockten Dohlen. Tau
glitzerte im Gras.
    Frühstück! dachte er. Nicht zu glauben,
der Durst! Und Hunger! Macht wohl das Freiluftpennen. Jedenfalls habe ich
etliche Stunden durchgeschlafen. Napoleon konnte das auch: egal, ob um ihn
herum Schlachtgetümmel war — oder er auf dem Rückzug aus Rußland.
Wahrscheinlich habe ich besser geschlafen als Gaby, Karl und Klößchen.
    Er stellte sein Rennrad am
Fahrradkeller ab. Und schlich zum Haupthaus.
    Nirgendwo rührte sich was. Es war noch
zu früh, aber das Tageslicht hatte beängstigend zugenommen.
    Jedenfalls hatte er noch nie bei
solcher Helligkeit die Strickleiter benutzt.
    Hier, im toten Winkel zwischen
Haupthaus und Anbau, hing sie im Weinlaub. Nachts war sie unsichtbar, jetzt
deutlich zu erkennen. Ihn schauderte, als er eilig hinaufturnte und durchs
Flurfenster einstieg.
    Ein Blick zurück — hinüber zum
Paukersilo. Dort waren noch die Vorhänge hinter allen Fenstern. Glück gehabt!
    Er holte die Strickleiter ein, hakte
sie los. Zusammengerollt trug er sie zum Dachboden hinauf — in ihr Versteck.
    Als er ins ADLERNEST trat, unterbrach
Klößchen sein Schnarchen, rollte sich auf die andere Seite, wurde aber nicht
wach.
    Tim sah auf die Uhr. Zehn vor sechs.
    Vorläufig lief gar nichts. Er konnte
niemanden anrufen, keine Unternehmungen anleiern, und Frühstück gab’s auch erst
später.
    Seufzend schlüpfte er ins Bett. Aber
als geborener Frühaufsteher konnte er jetzt nicht mehr einschlafen.
    Um punkt halb sieben öffnete er das
Fenster und ließ die Morgenluft herein. Zwischen Bett und Schrank, wo der Platz
gerade so reichte, machte er fünf Sätze Liegestütz: breite und enge, einarmige
und etliche nur auf Daumen und Zeigefingern. Selbstverständlich nahm er dabei
eine schräge Position ein, indem er die Fußspitzen auf der Fensterbank
aufstützte.
    Bei den Klimmzügen am Türrahmen knackte
das alte Holz. Aber noch hielt es ihn. In zwei, drei Jahren war er dafür
sicherlich zu schwer.
    Er lief in den Waschsaal unter die
Dusche. Als er zurückkam, schlief Klößchen noch immer.
    So einen Hunger, dachte Tim, hatte ich
noch nie. Er horchte hinunter. Nein, im Speisesaal tat sich nichts. An
unterrichtsfreien Tagen gönnte sich auch das Küchenpersonal eine verlängerte
Nachtruhe.
    Er setzte sich ans Fenster und übte
seinen Geist mit lateinischer Grammatik. Er fand auch noch Zeit für einen Blick
in das Buch über Astrophysik (Wissenschaft vom Leben auf anderen Himmelskörpern
und im Weltraum), an dem er gerade las, dann klapperten unten in der Küche
Töpfe und Kannen.
    Er war der erste im Speisesaal, noch
während die Küchenhelferinnen die Tische deckten.
    Erstaunte Blicke. So was war man von
Klößchen und seinesgleichen gewöhnt — nicht aber von ihm.
    Nach einem üppigen Frühstück mit viel
Tee weckte er Klößchen.
    „Nanu! Bist du schon da?“ Klößchen rieb
sich die Augen.
    „Schon lange. Und dank der Matratze vom
Müll habe ich prachtvoll geschlafen. Leider ist Werdy nicht aufgetaucht. Beeil
dich! Um neun sind wir bei Gaby verabredet.“
    „Na und? Jetzt ist es Viertel nach
acht.“
    „Wir können auch früher aufbrechen.“
    Aber das überstieg Klößchens
Morgentempo.
    Er trödelte nicht, brauchte aber eine
Ewigkeit im Waschsaal und noch länger am Frühstückstisch.
    Als sie dann fuhren — durch einen
dunstigen Vormittag, war Tims zeitlicher Vorsprung vertan.
    Trotzdem trafen sie noch vor Karl im
Altstadtviertel ein. Auch hier begann der Tag langsam. Nur Gaby war nicht davon
betroffen.
    Sie hatte ihrer Mutter im Laden
geholfen, trug eine geblümte Schürze und war in aller Frühe mit Oskar
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