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Uhrwerk Venedig (German Edition)

Uhrwerk Venedig (German Edition)

Titel: Uhrwerk Venedig (German Edition)
Autoren: Lucas Edel , Emilia Dux , Susanne Wilhelm , Tom Wilhelm , Dirk Ganser , T. S. Orgel
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gerammt, während er mit bleiernen Beinen im Canale Grande nach Luft schnappte. Dieses Gesicht. Giulia?
    »Pietro, Pietro, endlich.« Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit. »Kannst du mich verstehen?«
    »Ich weiß nicht genau. Wo bin ich?«
    »Ich bin aufgewacht. Du warst verschwunden. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    Pietro sog den vertrauten Geruch der Werkstatt ein, fühlte die Kerben der Tischplatte unter seinen Fingern. War er im Schlaf gewandelt? Er tastete nach der Öllampe, doch der Tran war zu Ende.
    »Ich muss wohl-« Er beendete den Satz nicht.
    In Giulias Stimme mischte sich Besorgnis, allerdings nicht um Pietros sondern ihre eigene Sicherheit. »Wenn du mir nicht sagst, was mit dir los ist, gehe ich.« Da war sie, die wohlhabende Giulia, die es gewohnt war, dass man ihren Wünschen gehorchte. Dem leichten Zittern in ihrer Stimme folgten geschürzte Lippen, dessen war sich Pietro sicher, auch wenn er durch die Dunkelheit kaum mehr als Schemen ausmachen konnte.
    »Es ist nichts«, sagte er schwach und hatte das Gefühl, dass Welten dabei waren, sich zwischen sie zu drängen.
    »Das glaube ich dir nicht«, sagte sie mit einer Mischung aus Schärfe und Resignation in der Stimme. Dann, etwas milder: »Ich gehe jetzt.«
    Am nächsten Morgen war der Grashüpfer verschwunden. Tief unten in Pietros Kopf keimte ein furchtbarer Verdacht. Seine Hände zitterten, er suchte in sämtlichen Schubladen, fand gebrochene Zahnräder, Schrauben, Federn, ein Ölkännchen. Nichts fehlte. Nur sein Gesellenstück. Pietros Herz hämmerte mit einem mal so stark, dass er glaubte, es müsste sich verdoppelt haben. Wut und Verzweiflung trieben ihm die Tränen in die Augen. Giulia hatte ihn getäuscht, um ihn dann zu bestehlen. Dann dachte er voller Schrecken an seinen Goliath!
    Er nahm die Schritte kaum wahr, die vom Verkaufsraum ins Hinterzimmer klackten. Der Samtvorhang wurde zur Seite geschoben. »Pietro, mein Junge! Etwas Fantastisches ist geschehen!«
    Pietro sah auf. Die grauen Haare des alten Mannes wurden durch das Licht der Morgensonne zu einem Kranz aus Licht. »Meister, habt Ihr mein Gesellenstück weggenommen?« Seine Stimme flatterte.
    Der Alte runzelte verwundert die faltige Stirn. »Nein, weshalb hätte ich das tun sollen? Hast du es verlegt?«
    Ein neuer Gedanke stach wie eine glühende Klinge in Pietros Kopf. »So etwas ähnliches. Meister, braucht Ihr das Stück noch für meinen Gesellenbrief?«
    Nun überrollte eine Welle der Freude das runzelige Gesicht. Der alte Mann kam näher und zog eine Urkunde aus seinem Mantel hervor. »Nein, denn taddah, hier ist sie, mein Junge. Und noch etwas. Sieh es dir an.«
    Pietros Züge entspannten sich. Er hatte einen großen Schritt in Richtung seines Ziels getan. Das Papier lag herrlich in der Hand. Es berechtigte ihn, selbst eine Werkstatt zu eröffnen. Pietro Marzo war in aller Form Geselle der Uhrwerkmechanik. Dann entdeckte er das zweite Blatt. Die Anmeldung zu einem Wettbewerb. Er sollte auf dem Markusplatz abgehalten werden. Die besten Automatenbauer sollten daran teilnehmen. Pietro wurde schwindelig. Der Termin war in fünf Monaten.
    »Du bist nun so weit«, sagte sein Lehrer stolz.
    Um die Mittagszeit, als Pietros Meister sein Schläfchen hielt, reckte er dankbar seine Nase in das Kistchen mit dem Goliath-Käfer. Er nickte sich selbst zu, schloss den Deckel und traf eine Entscheidung. Sollten die Pavonis glücklich werden mit seinem Grashüpfer. Er wäre nichts gegen den Flug des Goliath-Käfers, den er zu bauen beabsichtigte.
 
    Pietro Marzo verkroch sich die nächsten Wochen in der Werkstatt. Sein Meister ließ ihm freie Hand, brachte ihm frisch gebratenen Fisch und Olivenbrote und hielt ihn an, es nicht zu übertreiben. Er schien zu spüren, dass der junge Mann manchmal von etwas abgelenkt war. Ohne zu ahnen, dass Giulia Pavoni der Grund war, wirkten seine aufmunternden Worte tröstlich auf Pietro.
    Dann, eines Morgens, kam der alte Mann ungewohnt früh in die Werkstatt. Er legte einen Brief für seinen Schüler auf den Arbeitstisch. Stunden später, als Pietro ein bedeutendes, dynamisches Problem gelöst hatte und eine Pause machte, bemerkte er den Umschlag.
 
    Pietro erkannte Giulias Silhouette von Weitem. Einsam stand sie am Fuße der Ponte della Paglia ganz in der Nähe des Markusplatzes und blickte ins Meer. Mit einem Mal dröhnte der Glockenschlag des Campanile, verkündete die Stunde vor Mitternacht. Sie hatte seit zehn Uhr auf ihn gewartet. Salzige Luft
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