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Uhrwerk Venedig (German Edition)

Uhrwerk Venedig (German Edition)

Titel: Uhrwerk Venedig (German Edition)
Autoren: Lucas Edel , Emilia Dux , Susanne Wilhelm , Tom Wilhelm , Dirk Ganser , T. S. Orgel
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Bartstoppeln glatt. So viele Menschen. Wie sollte ein Waise, des schönen Sprechens ungeschult, die Menge für sich gewinnen?
    Plötzlich spürte er etwas an seinem Arm. Er drehte den Kopf. »Du bist der letzte, Pietro. Gleich nach meinem Vater.« Bevor er antworten konnte, war Giulia in der Menge verschwunden.
    »Dahinter steckt Pavoni«, ärgerte sich Pietro. »Die Zuschauer werden nach seiner Darbietung unaufmerksam sein. Für Goliath wird sich niemand mehr interessieren.« Er fühlte die kalte Hand der Verzweiflung in seinem Nacken.
    »Mein Junge, so darfst du nicht denken. Was auch immer Filippo Pavoni im Schilde führt-«
    Mit einem Mal kam Bewegung in die Zuschauer, an der Engstelle, die Richtung Meer führte, teilte sich die Masse. Ein Apparat rollte heran. Die Menschen verstummten. Als das Gerät seinen Platz erreicht hatte, erkannte Pietro einen Schreibtisch an dem ein künstlicher Mensch saß. Pavoni trat hoheitsvoll neben das Metallwesen. Mit seinen Händen erhob sich der Beifall. Selbst die Richter hielten inne.
    »Verehrte Richter, Venezianer, Gäste aller Welt«, hub Pavoni an, »Sie alle sind hierherbekommen, weil Sie etwas sehen wollten, das noch niemals zuvor existierte. Nun, es steht direkt vor ihnen!« Pavoni trat einige Schritte nach vorn und forderte die Menge auf, ihm einen Namen zu nennen. »Ja, hier vorne. Signore Tibero Santilli. Wunderbar! Passen Sie genau auf, verehrtes Publikum.«
    Pavoni ging zu seinem Konstrukt, zog an einem Hebel und dann kam Leben in das Geschöpf. Es nahm einen Federkiel in die Hand, tauchte die Spitze in Tinte und schrieb den Namen des Signore fehlerfrei auf ein Blatt Papier, das vor ihm lag. Als es die Arbeit ausgeführt hatte, kehrte es in die Ausgangsstellung zurück. Pavoni ergriff den Bogen, hielt ihn hoch, ließ ihn durch die Menge reichen und erntete tosenden Beifall. Kurz darauf kam das Papier bei den Richtern an und die Menge hielt inne. Der Altmeister trat vor die fünf. Pietro konnte seine Selbstgefälligkeit beinahe körperlich fühlen.
    Die Richter nickten einander zu. Pavoni erhielt von allen die höchste Wertung, quittierte den Erfolg mit einem schrägen Lächeln und senkte in gespielter Demut den Kopf. Die Menge toste minutenlang. Endlich ebbte der Beifall ab und die ersten schickten sich an, nach Hause zu gehen.
    Ein alter Mann trat neben Pavoni. So laut es seine abgezehrten Stimmbänder zuließen, sprach er: »Ich bin Guido Grossi!«
    Die Menge erstarrte. Filippo Pavoni erstarrte. »Grossi«, zischte er dem Todgeglaubten zu. »Verschwinde, du alter Nichtsnutz.«
    »Die älteren unter euch kennen mich. Die jüngeren haben von mir gehört. Ich war einst der Lehrer von diesem Burschen hier«, er deutete mit dem Kinn auf Giulias Vater. »Seinen Reichtum hat er meinen Erfindungen zu verdanken, die er mir stahl.«
    Durch die Menge ging ein Murmeln.
    Pietro starrte überwältigt auf seinen Meister. Deshalb hatte er ihm nie gestattet, nach seinem Namen zu fragen.
    »Doch das ist Vergangenheit. Die Zukunft gehört dem nächsten Bewerber. Pietro Marzo. Ihr habt richtig gehört, einer fehlt noch.« Er bat Pietro zu sich. »Rühmende Worte können niemals brillante Arbeit ersetzen. Und noch etwas: Die Größe ist nicht entscheidend.«
    Pietros Herz klopfte so heftig, dass er glaubte, es durchbreche im nächsten Moment seinen Brustkorb. »Verehrtes Publikum, werte Richter«, sprach Pietro die auswendig gelernten Worte. Für einen Moment schloss er die Augen. Den Rest sprach er frei heraus: »Ich hatte einen Traum. Diesen Traum teile ich mit jedem einzelnen von Ihnen. Schließen Sie Ihre Augen. Heben Sie Ihre Arme. Stellen Sie sich vor, sie fliegen. Sie spüren den Wind. Sie gleiten über die Dächer Venedigs. Weit unter Ihnen das Meer. Und nun öffnen Sie die Augen.«
    Pietro hielt den Goliath-Käfer hoch. »Sehen Sie.« Der Käfer breitete die Flügel aus und brummte. Dann hob er ab, glitt über die Menge hinweg, flog unabhängig. Pietro hatte noch nie so viele offene Münder und aufgerissene Augen gesehen. Der Traum vom Fliegen war zum Greifen nah.
    Plötzlich sah Pietro Giulias Gesicht in der Menge. Es war verwandelt und strahlte. Es glaubte. Mit einem Mal flutete Wärme durch seinen Körper. Er lachte und ging ihr entgegen. Sie tat es ihm gleich.
    »Was sagst du nun, Pavoni?«, meinte Grassi voller Genugtuung.
    »Ich sage, die Größe spielt eine Rolle, alter Mann.« Pavoni war hinter seinen Metallmenschen getreten und hatte etwas justiert. Der
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