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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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aufopfernde Fürsorge berührte mich zutiefst. Bange fragte ich mich, ob mich jemals ein Mensch so bedingungslos lieben würde. Und ob ich es auch könnte.
    »Die Scheune ist verschlossen, alte Gewohnheit«, erklärte Bastiani, als wir unten angelangt waren. Er ging in die Küche und kramte mit gerunzelter Stirn in einer Schublade voller Krimskrams herum, bis er den Schlüssel gefunden hatte.
    »Der da muss es sein. Die Aushilfe legt ihn manchmal nicht zurück. Aber wir haben Glück.«
    Ich horchte auf. »Wer ist eigentlich diese Aushilfe?«
    »Ein junger Mann, der mir hier zur Hand geht. Es ist einfach zu viel Arbeit für einen allein. Er ist wie ich eine versehrte Seele, wenn ich das so formulieren darf. Hat so einiges erlebt und brauchte dringend einen Job …«
    »Was meinen Sie mit ›versehrt‹?«
    Bastiani zögerte. »Er war lange bei einer sektenähnlichen Organisation dabei, sogar im Vorstand, wenn ich mich nicht irre. Bevor er ausgestiegen ist.«
    Mir fiel es plötzlich schwer stillzustehen. »Hieß die Organisation Sanduhr ?«
    »Ja, genau. Woher wissen Sie …?« Bastianis Augen weiteten sich.
    Beat. Der ehemalige Vizepräsident bei Sanduhr . Ich rannte zur Tür und riss sie auf.
    »Sie meinen doch nicht etwa …?«
    »Herr Bastiani, führen Sie mich auf der Stelle zu dieser Scheune!«
    Eine nackte Glühbirne glimmte auf, als Bastiani den Lichtschalter betätigte, und warf ihr flackerndes Licht auf einige säuberlich aufgereihte Kanister. Auf einer großen Kiste lag ein Stapel fabrikneuer Kartoffelsäcke.
    Erwartungsvoll drängte ich hinter Bastiani in den düsteren Raum. Es war kühl und roch staubig.
    »Genauso gut hätte ich den ganzen Kram auch wegwerfen können«, erklärte Bastiani und blieb vor dem Arbeitstisch stehen, hinter dem Regalböden voller merkwürdiger Utensilien an der Wand befestigt waren. »Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.«
    Er lächelte traurig und benannte die Gerätschaften: »Spannbretter, Aufweichdosen, Tötungsgläser.« Beim letzten Wort zeigte er auf eine Anzahl zylindrischer Glastrichter. »Da hängt ein Schmetterlingsnetz, in den Schachteln befinden sich Präpariernadeln, Pinzetten, Spannstreifen …«
    »Wo ist das Chloroform?«, unterbrach ich ihn ungeduldig. Hätte ich einen Einführungskurs in die Kunst der Schmetterlingspräparation gewollt, hätte ich mich dafür in der Abendschule angemeldet.
    Bastiani griff zu einer weißen Plastikflasche mit roter Etikette und streckte sie mir entgegen.
    »Ist sie leer?«
    Er schüttelte sie leicht. »Nein. Aber das besagt gar nichts. Man braucht nicht gerade literweise davon, um einen Menschen zu betäuben. Ein bisschen mehr als bei einem Falter hingegen schon.«
    Aufmerksam sah ich mich um. Alles wirkte sehr ordentlich, fast schon ein wenig manisch. Aber man konnte es Bastiani nicht verübeln, nach allem, was er durchgemacht hatte. Mein Blick blieb an der Kiste hängen, auf der die Kartoffelsäcke lagen. Sie war weiß und mindestens anderthalb Meter lang. Eine Kühltruhe. Rasch trat ich auf sie zu, fegte die Säcke herunter und versuchte, den Deckel zu öffnen. Doch eine Kette mit angehängtem Schloss hinderte mich daran.
    »Sie ist abgeschlossen«, murmelte Bastiani.
    »Wegen der Tollkirschen?«
    Verblüfft riss er seine wimpernlosen Augen auf und begann zu stammeln, doch ich beruhigte ihn: »Sie brauchen die Beeren für Ihre Tees, ich weiß. Aber wir wollen jetzt keine Zeit mit Geplauder verlieren. Schließen Sie die Truhe auf!«
    Umständlich kramte er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, doch als er ihn ins Schloss stecken wollte, passte er nicht.
    »Merkwürdig«, brummte Bastiani und versuchte es erneut. Vergebens. Als er einen dritten Anlauf nahm, zerrte ich ihm genervt das Metallteil aus der Hand. »Das ist eindeutig der Falsche! Haben Sie vielleicht noch einen anderen?«
    Verwirrt starrte Bastiani auf den Schlüssel, den ich in meinen Fingern hielt, und schüttelte dann langsam den Kopf.
    »In dem Fall hat jemand das Schloss ausgewechselt.«
    »Beat? Aber wieso sollte er …?«
    »Wann haben Sie die Kühltruhe zum letzten Mal benutzt?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Denken Sie nach!«
    Erschrocken blickte Bastiani auf. Ich war mit meiner Geduld am Ende und hatte ihn gerade angeschrien.
    »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich sofort, doch Bastiani hob nur abwehrend die Hand, während er konzentriert nachdachte.
    »Ist ’ne ganze Weile her. Ich brauche ja nur Extrakte für den Tee, da reichen jeweils wenige Beeren.
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