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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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waren keine Stufen, die nach unten führten, keine verschlossene Tür, nichts. Mir fiel ein, dass bei Bauernhäusern der Zugang zum Keller oft über eine Treppe im Freien erfolgte, und ich kehrte in die Küche zurück, um durchs Fenster nachzuschauen.
    Tatsächlich befand sich direkt neben der Eingangstür ein Treppengeländer, das in einen Schacht führte. Suchend sah ich mich um und überlegte, wo ich den Kellerschlüssel aufbewahren würde, als von oben ein leises Rascheln zu hören war.
    Ich erstarrte. Das Geräusch war jedoch verstummt und wiederholte sich nicht. Ich erinnerte mich, dass Bastiani von Mäusen gesprochen hatte, nur hörte sich weder heute noch damals das Geräusch nach Nagern an. Außer die Viecher trugen Ballkleider.
    Misstrauisch geworden, stieg ich die Treppe in den oberen Stock hinauf. Die Stufen knarrten unter meinen Schritten, so sehr ich auch versuchte, behutsam aufzutreten. Jetzt war das Rascheln wieder zu hören, kurz nur, aber deutlich. Ich reckte mich und spähte vorsichtig durch die Stäbe des seitlich angebrachten Holzgeländers.
    Was sich mir darbot, entsetzte und verwirrte mich gleichermaßen. Ich registrierte die geschlossenen Gardinen, bemerkte das gedämpfte Licht, das auf den rohen Holzboden fiel und sich matt in den stählernen Gitterstäben des kniehohen Käfigs reflektierte, erfasste das Bett, das verrutschte Laken und die reglose schmale Gestalt, die sich darunter abzeichnete – und begriff dennoch überhaupt nichts.
    Geduckt schlich ich die letzten Stufen hinauf, während ich in höchster Alarmbereitschaft jeden Winkel des ehemaligen Dachstocks absuchte. Doch ich war allein.
    Allein, bis auf den in zusammengekrümmter Stellung im Bett liegenden Körper. Der Kopf des Mannes lag auf der Seite, der Mund weit offen, die Augen verdreht, sodass fast nur Weiß zu sehen war. Sein Ausdruck war leer, die Züge erinnerten auf seltsame Art gleichzeitig an einen uralten Mann und ein Kleinkind. In glitzernden Fäden lief ihm Speichel aus dem Mundwinkel über die Wange und ich wusste nicht, ob er mich überhaupt wahrnahm. Er stieß einen lang gezogenen Laut aus, ein Stöhnen vielmehr, die Hand auf dem Laken verkrampfte sich weiter, gleichzeitig schien der ganze Körper von innen zusammengezogen zu werden.
    Der Anblick erschütterte mich zutiefst. Dieses bedauernswerte Geschöpf musste Alain Grunder sein, das zweite Opfer jenes Überfalls in der Bäckeranlage.
    Hinter mir knarrte die Treppe, doch ich war wie gelähmt. Obwohl ich wusste, dass ich in höchster Gefahr schwebte, blieb mein Blick wie gebannt an dem zum Krüppel geprügelten Mann kleben.
    »Heute hat er einen guten Tag«, hörte ich Bastianis Stimme an meinem Ohr. Ohne sich weiter um mich zu kümmern, ging er an mir vorbei auf das Bett zu und beugte sich über den Mann. Zärtlich ergriff er dessen Hand und küsste ihn auf die Stirn. Der andere verzog das Gesicht zu einer Fratze und stieß einen kurzen bellenden Laut aus, es schien, als würde er dabei lächeln. Bastiani sprach leise auf ihn ein, während er das verrutschte Laken zurechtzog. Dann richtete er sich auf und sah mich an.
    »Alain ist mein Partner. Und Ihr Wagen steht vor der Tür.«
    Ich schluckte leer. »Sie waren in jener Nacht gemeinsam im Park?«
    Bastiani nickte.
    »Haben Sie die jungen Männer umgebracht?«
    Entgeistert sah er mich an. »Was? Wovon sprechen Sie?«
    »In dieser Nacht … Da waren andere Männer dabei, die meisten sind geflohen, als die Täter zugeschlagen haben. Zwei davon wurden erst kürzlich ermordet, bei einem dritten wurde es versucht.«
    »Aber nein, wie kommen Sie bloß auf eine so abstruse Idee?« Bastiani wirkte bestürzt. Aber vielleicht spielte er mir auch nur etwas vor.
    »Sie müssen sie erkannt, ihre Gesichter gesehen haben.«
    Er machte eine abwehrende Bewegung. »Mein Gott, da waren drei Typen mit Eisenstangen, die wie Berserker auf meinen Partner und mich eingeschlagen haben. Ich hatte anderes zu tun, als mir die Gesichter der Umstehenden einzuprägen.«
    »Aber zuvor?«
    »Es war dunkel, man sah nicht viel. Zudem habe ich etliche Erinnerungslücken, was jene Nacht betrifft.« Er tippte sich leicht an die Schläfen. »Betrifft das den Jungen, den man im Wald gefunden hat?«
    Ich nickte.
    »Was ist mit den anderen Männern geschehen?«
    Ich fasste es kurz zusammen.
    Bastiani starrte mich schockiert an. »Und alle drei waren in jener Nacht ebenfalls im Park?«
    »Von zweien weiß ich es sicher, beim dritten vermute ich
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