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Uferwald

Titel: Uferwald
Autoren: Ulrich Ritzel
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»Bitte – bleiben Sie noch. Nur ein paar Minuten.«
    »Wozu soll das gut sein?«, fragte Harald Treutlein.
    »Bitte.«
    Widerwillig setzte sich das Ehepaar wieder. Kuttler kehrte an die Bar zurück.
    »Es nützt mir nichts, wenn Sie mir glauben wollen«, sagte Luzie. »Ich muss eine Sicherheit haben.«
    Kuttler sah sie an. Eine große stämmige Frau. Das blonde Haar etwas zerzaust. Gut angezogen. Das Gesicht etwas grob geschnitten. Die Nase ausgeprägt. Die Bewegungen – rudernd. Das große ungelenke Mädchen, das es in jeder Schulklasse gibt. Etwas zu viel Make-up.
    Was noch? Kuttler, du weißt es. Etwas war noch. Tamar hatte davon gesprochen.
    »Tilman ist ohne Vater aufgewachsen«, sagte er. »War er deswegen ein Außenseiter?«
    »War er das?« Ihr Gesicht verschloss sich.
    »Wie war das bei Ihnen?«
    Sie sah ihn aufgebracht an. »Worauf wollen Sie hinaus?« »Was war denn mit Ihrem Vater?«
    »Hat sich gedrückt.« Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein Ausdruck von Verachtung ab. Sie spülte mit einem Schluck Gin. »Alimente überwiesen oder auch nicht. Fertig.«
    »Als Solveig zum ersten Mal hier erschien, im GlucksKasten, waren Sie es, die sie an den Tisch gebeten hat?«
    »Möglich.«
    Kuttler vermied es, zum Tisch der Treutleins zu schauen. Warum rief Tamar nicht zurück? Er zwang sich, einen Schluck Weizen zu trinken.
    »Sie wussten«, sagte er, als er das Glas absetzte, »dass Solveig Danneckers Geliebte war?«
    »Und wenn?« Ihr Gesicht blieb unbewegt. »Erst will ich wissen, ob Sie mir glauben, dass ich Sascha erst seit ein paar Tagen kenne? Schwören Sie es!«
    »Das ist nicht nötig«, sagte Kuttler. »Sie brauchen nichts zu sagen, und ich muss nicht schwören. Sie sind Danneckers uneheliche Tochter, das weiß ich jetzt. Warum Sie Solveig an den Tisch holten, ist mir zwar noch immer unklar. Dafür weiß ich, was Sie Tilman hier gesagt haben, hier an der Theke – Sie sagten ihm, er brauche nicht länger auf einen Anruf zu warten und den leidenden Liebhaber zu geben. Solveig sei belegt, im Sinne des Wortes, von dem Rechtsanwalt Dannecker.«
    »Das ist nicht gerade mein Wortschatz«, antwortete Luzie und schüttelte leicht ihr Glas, so dass die Eiswürfel klirrten. »Aber sonst... ich habe meinen Vater einmal zufällig mit dieser Solveig in einem Jazzkeller gesehen, das heißt, im letzten Augenblick habe ich ihnen ausweichen können, das hat mir einen schönen Abend komplett versaut, das dürfen Sie mir glauben. Und an dem anderen Abend, dem im GlucksKasten, im Spätherbst oder wann das war, als die Solveig hereinkam, da hab ich gedacht, mal gucken, wer das wirklich ist und ob ich zu meiner kleinen Revanche für den versauten Abend komme...«
    »Und ausgebadet hat die Revanche dann Tilman?«
    »Das ist doch nicht meine Schuld«, sagte Luzie, mit einem Anklang von Zorn in der Stimme. »Ich wollte ihm die Augen öffnen.«
    »Unsinn.«
    »Von mir aus.« Luzie stellte entschlossen das Glas ab. »In der Neujahrsnacht konnte ich plötzlich das selbstgefällige beleidigte wehleidige Lächeln von Tilman nicht mehr ertragen. Ich wollte, dass er endlich einmal begreift, was wirklich Sache ist.
    Wird Ihnen jetzt klar, dass der Unfall von Tilman von niemandem geplant worden sein kann? Niemand hat vorhersehen können, dass mir die Sicherung durchbrennt und ich Klartext mit ihm rede, und erst recht konnte niemand ahnen – hören Sie: niemand! schon gar nicht Sascha –, dass der Idiot daraufhin das Fahrrad nimmt und nach Thalfingen fährt, um dort ich weiß nicht was anzustellen.«
    Kuttlers Handy begann zu vibrieren. »Entschuldigung«, sagte er und meldete sich, mit einer Hand das freie Ohr abdeckend, weil der Geräuschpegel im Eastside zu steigen begonnen hatte.
    Während er zuhörte, suchten seine Augen die Tischreihen ab. Dann erblickte er Isolde, und ihre Blicke hielten sich gegenseitig fest, für ein paar Sekunden nur.
    »Ja, sie ist noch hier«, sagte er schließlich.
    Isolde Treutlein sagte etwas zu ihrem Mann, wieder erhoben sich die beiden Eheleute, diesmal entschlossen, sich nicht mehr aufhalten zu lassen. Als Isolde ihren Mantel anzog, sah sie noch einmal zu Kuttler. Er hatte noch immer das Mobiltelefon in der Hand und zeigte es ihr über die Tische hinweg mit einer Geste, die heißen sollte, dass er eine Nachricht hatte, die sie betraf.
    Sie hielt inne, erst den einen Arm im Mantel, für einen Augenblick blieb sie so stehen, als überlege sie.
    Ein bläulicher Lichtschein glitt über die
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