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Uferwald

Titel: Uferwald
Autoren: Ulrich Ritzel
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sie zweifelnd an. »Die Skulptur heißt Traumtänzer«, fuhr er fort, »weil ich mir tatsächlich vorgestellt habe, dass das Teile von dem Unfallauto sind, mit dem dieser Tilman Gossler über den Jordan befördert wurde. Der war ja mal bei mir, hat so getan, als ob er etwas von meinen Arbeiten verstünde, so auf die schulterklopfende Tour, das kann ich schon gar nicht ab. Und dann hat er sich an die Solveig herangemacht, das war doch lächerlich, die war ein paar Nummern zu heiß für ihn, alles, was recht ist.«
    »Sie wussten also sofort, mit welchem Auto Tilman angefahren wurde?« Tamar hatte begonnen, sich Notizen zu machen.
    Keull schüttelte den Kopf. »So kann man das nicht sagen. Das war am zweiten oder dritten Arbeitstag im neuen Jahr, da kam jemand mit einem Daimler, und bei dem waren vorne Stoßstange und Kotflügel ein wenig eingedellt, nicht besonders dramatisch, man hat eben gesehen, dass da etwas gewesen sein musste. Und weil am Morgen etwas von einem Unfall eines Radfahrers in der Zeitung gestanden war und dann auch eine Todesanzeige für diesen Gossler erschien, dachte ich mir – dieser Daimler da, der könnte es gewesen sein, damit hat jemand den Radfahrer erwischt...«
    »Verstehe ich Sie recht«, fragte Tamar, »diese Teile, die Sie verarbeitet haben, stammen nicht von Danneckers Auto?« »Definitiv nicht.«
    »Aber bei dem war doch auch die Stoßstange beschädigt?«
    Keull zog eine Grimasse. »So verstehen Sie doch! Erst in der Werkstatt, Tage nach dem Unfall, bin ich auf diese blöde Idee gekommen. Und als Dannecker in der nächsten Nacht wieder in Thalfingen war und der Wagen auf der Straße abgestellt...«
    »Ach so«, machte Tamar, »da haben Sie ein Hämmerchen genommenund ein bisschen nachgeholfen und am nächsten Tag am Telefon dem Dannecker eingeredet, er fahre seit der Neujahrsnacht mit einem Blechschaden herum?«
    »Kein Hämmerchen. Eine Stahlstange.«
    Tamar überlegte. »Sie sagten vorhin, Sie seien sicher, dass die Unfallexperten noch Anhaftungen finden werden. Warum?«
    »Sehen Sie!«, sagte Keull, als habe er endlich seinen Ansatzpunkt gefunden. »Ich habe dieses Blech und diese Stoßstange vor dem Verarbeiten nicht sauber gemacht oder abgeschliffen oder irgendetwas in der Art. Ich habe sie so verwendet, wie es mir der Zagorac gegeben hat, das war der Typ, dem die Werkstatt gehörte. Ich hatte die Idee von einem Traumtänzer, den man aber nicht sieht, den es vielleicht nur in meinem Traum gibt, man sieht nur das Blech, der Tänzer tanzt also – unsichtbar, wenn Sie so wollen – auf genau dem konkreten Material, das ihm in der wirklichen Wirklichkeit das Leben gekostet hat...«
    Er sah Tamar zu, die seine letzten Sätze stenographiert hatte.
    »Und deswegen«, fuhr Keull fort, »müssten die Experten tatsächlich Spuren finden, vorausgesetzt, dass dieser Daimler wirklich das Unfallauto war und ich es mir nicht nur eingebildet habe. Ich habe diese Spuren nicht nur nicht entfernt, ich habe sie übersprüht, sie gehörten für mich zum Material meiner Arbeit, Sie könnten auch sagen, dass ich diese Spuren konserviert habe.«
    Er unterbrach sich und lehnte sich auf dem Holzstuhl zurück. »Niemand«, sagte er nach einer Pause, »niemand, der diesen Gossler wirklich auf dem Gewissen hat, hätte so etwas getan.«
    »Wer diesen Daimler in die Werkstatt gebracht hat«, fragte Tamar mit unbeteiligter Stimme, »wissen Sie das noch?«
    »Das hatte für mich keine Bedeutung«, antwortete Keull. »Eine junge Frau. Keine, die mich interessiert hätte. Zagorac nahm an, dass sie gar nicht selber gefahren war. Sie musste die Sache für irgendeinen Kerl in Ordnung bringen.«
    »Das Kennzeichen haben Sie sich also auch nicht notiert?« »Wozu?«, fragte Keull zurück. »Ich wollte von dem Mädchennichts, und Zagorac ebenso wenig. Sein Job war es, kaputte Autos zu reparieren. Ich war sein Untermieter. Es war nicht unser Job, Fragen zu stellen. Schon gar nicht Fragen, die die Polizei angehen. Zagoracs Laden hat in Wirklichkeit der kroatischen Mafia gehört.«
     
    A lso«, sagte Matthes, richtete sich auf und rückte seine Krawatte zurecht, mit einer Grimasse, die komisch sein sollte oder ein latentes Unbehagen überspielen. »Letzter Wahlgang. Zwei Kandidaten. Bilch und Tilman. Nur einer ist nächstes Jahr noch dabei. Noch Fragen an die Kandidaten? Eine letzte Vorstellungsrunde gewünscht?« Er blickte in der Runde um sich. »Nein. Damit stimmen wir ab. Juffy?«
    »Bilch soll eingeladen werden«,
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