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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
Autoren: Georg Pieper
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Reaktionen seiner Mitmenschen auf seine emotionalen Schwankungen, die er wiederum als Kränkungen empfand und so das Gefühl hatte, von niemandem mehr verstanden zu werden. Seine Stimmung wurde immer düsterer. Der Hausarzt verschrieb ein Antidepressivum, »damit Sie wieder auf die Beine kommen«, sein zu hoher Blutdruck wurde medikamentös behandelt.
    Bei einem unserer privaten Treffen erzählte er mir, er fühle sich im Job wie in einem »Irrenhaus«. Als ich ihm zu einer Kündigung riet, winkte er ab. Das sei undenkbar, er habe schon in seinem Elternhaus gelernt, dass man durchhalten müsse und nicht so schnell aufgeben dürfe, wenn einem etwas nicht passe. Vor allem aber dürfe er die Sicherheit, die diese Arbeit ihm und seiner Familie gebe, nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. In den folgenden Wochen entwickelte sich sein Alkoholkonsum zum Missbrauch und er ließ sich auf eine Beziehung mit einer anderen Frau ein. Eine Ehekrise war die Folge, er trennte sich vorläufig von seiner Familie und zog in eine kleine Wohnung.
    In einem anderen Gespräch, das wir noch führten, äußerte er dann ganz klar, dass die Situation ihn kaputt mache, er aber nicht in der Lage sei, den Grund für seine inzwischen handfeste Depression anzugehen und seine Arbeitssituation zu verändern. Er habe schlicht nicht den Mut dazu. Die medikamentöse Behandlung brachte keinen Erfolg, da es letztlich nur Versuche waren, die Symptome zu bekämpfen, ohne der Ursache seines Leidens auf den Grund zu gehen. Sein Wille, sich »durchzubeißen«, selbst wenn es schon längst nicht mehr sinnvoll war, zeigte sich auch, als er trotz eines langwierigen grippalen Infekts exzessiv auf der Ruderstrecke trainierte. Auch eine Form von Flucht. Seine Frau, zu der er inzwischen wieder zurückgekehrt war, fand ihn tot am Schreibtisch, vor sich eine philosophische Fachzeitschrift. Er hatte – wie so vieles anderes – eine Herzmuskelentzündung ignoriert und sich mit dem Rudertraining vollkommen überfordert.
    Nicht zuletzt durch diesen tragischen Verlust eines guten Freundes ist mir schmerzlich klar geworden, dass es in uns bestimmte Bedürfnisse gibt, die wir nicht ignorieren dürfen, weil wir sonst krank werden oder daran zerbrechen können. Wir müssen uns selbst und unser Tun immer wieder hinterfragen: Können wir unsere Gefühle und Wünsche übergehen? Ist es sinnvoll, dass wir zurückstecken und uns anpassen? Oder geht es um fundamentale Bedürfnisse, denen wir nachkommen müssen, um uns nicht selbst zu schaden?
    Diese Unterscheidung ist sicherlich nicht immer einfach zu treffen, aber es gibt glücklicherweise einen Verbündeten, auf den wir uns verlassen können: unseren Körper. Er gibt uns immer Rückmeldungen darüber, wie wir mit uns umgehen, und sendet eindeutige Zeichen, wenn wir nicht sorgsam auf unsere Grenzen achten und uns damit schaden. Leider stehen viele Menschen in eher schlechtem Kontakt mit ihrem Körper; sie erwarten, dass dieser funktioniert und nicht weiter stört. Zeichen, die er aussendet, werden wiederholt übergangen, man beißt sich durch, obwohl man unter Kopf- oder Rückenschmerzen leidet. Die kann man schließlich mit Medikamenten betäuben, man macht weiter wie bisher und muss nichts verändern.
    Wenn wir aber ernsthaft auf die Signale unseres Körpers hören, erkennen wir, welche Gefühle wichtig sind, und können sie von weniger wichtigen unterscheiden. Und bei solchen wichtigen Signalen müssen wir den Mut aufbringen, rechtzeitig Veränderungen anzugehen, auch wenn sie unbequem sind.
    Der ungebetene Gast
    Eine meiner Patientinnen klagte darüber, dass sie immer in den unpassendsten Momenten starke Kopfschmerzen bekäme – vor allem wenn sie sich »etwas Schönes« vorgenommen habe. Ihr Freund sei davon schon ganz genervt, sie habe inzwischen Angst, ihn zu verlieren, da sie mehrfach im letzten Moment einen Ausflug oder eine Reise habe absagen müssen. Vor einem seit langem geplanten Urlaub in die Berge hatte sie sogar einen Migräneanfall erlitten, mit Übelkeit und starken Kopfschmerzen und mehrere Tage allein im abgedunkelten Schlafzimmer im Bett gelegen. Diese Anfälle stressten sie unheimlich, aber sie könne beim besten Willen nichts dagegen machen. Medikamentöse Behandlungsversuche hätten keinen Erfolg gebracht.
    Ich machte meiner Patientin den Vorschlag, die Migräneanfälle in ein Bild zu übertragen. Sie solle sich vorstellen, die Anfälle seien ein ungebetener Gast: »Dieser ungebetene Gast kommt einfach in
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