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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
Autoren: Georg Pieper
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Ihr Haus, er kümmert sich nicht darum, ob die Tür verschlossen ist oder nicht. Plötzlich steht er mitten im Raum und nervt Sie mit seiner aufdringlichen Art. Sie haben ihn schon oft gebeten, wieder zu gehen, ihn rausgeschmissen und Hausverbot erteilt. Aber er schafft es immer wieder, auf unerklärliche Weise, selbst wenn Türen und Fenster verschlossen sind. Dann tritt er Ihnen gegenüber, grinst Sie unverschämt an und macht Ihnen Kopfschmerzen. Und wenn er dann endlich mit einem hämischen Lachen verschwindet, ruft er Ihnen noch zu, er werde wiederkommen, gerade wenn Sie nicht mit ihm rechnen würden. Darauf könnten Sie sich verlassen!«
    Ich bat nun die Patientin, der das Bild des ungebetenen Gastes sehr stimmig für ihre Gefühlslage erschien, diese »Person« zu beschreiben. Sie schilderte einen schwarz gekleideten Mann mit einem gelben Umhang, einem weiß geschminkten Gesicht mit einem ekelhaft-unheimlichen Grinsen – insgesamt eine zutiefst unangenehme Erscheinung. Als Nächstes schlug ich ihr vor, den ungebetenen Gast an den Tisch zu bitten und mit ihm einen Kaffee oder Tee zu trinken. Sie solle ihn fragen, wie es ihm gehe und warum er immer zu ihr komme. Die Patientin war nicht sonderlich begeistert von dem Vorschlag, aber sie ließ sich darauf ein. Tatsächlich entwickelte sich ein interessantes »Gespräch« zwischen ihr und dem ungebetenen Gast. Dabei wurde deutlich, dass die ominöse Erscheinung sehr ärgerlich auf die Patientin war: Er würde nie danach gefragt, was er brauche und auf was er Lust habe, sondern müsse immer nur das tun, was die anderen wollten. Das störe ihn so sehr, dass er jetzt eben sie immer wieder stören müsse. Auf die Frage, was ihn besänftigen könne, was er denn brauche, um selbst mehr zur Ruhe zu kommen, antwortete er: »Frag mich doch einfach mal, was ich möchte – und tu das dann auch mit mir.« Wenn sie hin und wieder auf seine Wünsche und Bedürfnisse eingehe, käme er ab und zu mal zum Kaffeetrinken vorbei, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Aber »stören« müsse er sie dann nicht länger.
    Der Patientin ging durch diese Begegnung mit ihrem Inneren – nichts anderes war der »ungebetene Gast« – ein Licht auf. Sie erkannte, dass sie immer versucht hatte, sich an die Interessen und Bedürfnisse ihres Freundes anzupassen, die ihren eigenen im Grunde gar nicht entsprachen. Während er mit ihr zu einer Oldtimershow oder zu einem Autorennen wollte, wäre sie viel lieber in eine Kunstausstellung gegangen. Nachdem er einmal abfällig entgegnet hatte, so etwas interessiere ihn nicht, hatte sie sich nicht mehr getraut, eigene Vorschläge zu machen. Sie war geleitet von ihrer Angst, den Partner zu verlieren, und hatte sich immer wieder überwunden, Dinge zu tun, die sie nicht wollte. »Ich hasse diesen Autokult!«, brach es nun aus ihr heraus. Und einen Urlaub in den Bergen fände sie, ehrlich gesagt, auch nicht toll, viel schöner fände sie es, ans Meer zu fahren.
    Ihre Angst, das zu verlieren, was sie hatte, war stärker als ihr Wunsch, die Beziehung nach ihren Vorstellungen zu verändern. Mit dem Effekt, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse zuerst nicht so wichtig genommen und schließlich vollkommen ignoriert hatte. Ihr Körper hatte früher erkannt, dass es ihr nicht guttat, die eigenen Interessen immer hintanzustellen. Seine Signale waren eindeutig gewesen.
    Meiner Patientin stand nun eine schwierige und anstrengende Auseinandersetzung mit ihrem Freund bevor, die entweder eine Verbesserung in ihrem Sinne bringen oder möglicherweise ein Ende der Beziehung bedeuten würde. Es kostete sie einige Kraft, aber sie schaffte es, mit ihrem Freund über ihre Unzufriedenheit zu reden und nach Lösungen zu suchen. Er reagierte zunächst sehr erstaunt, auch fiel es ihm nicht leicht zu akzeptieren, dass seine Partnerin offenbar nicht mehr so »pflegeleicht« war wie früher. Letztendlich stieg sie jedoch in seinem Ansehen, da sie nun ein eigenes Profil zeigte. Beide suchten und fanden gemeinsam Kompromisse für ihre unterschiedlichen Interessenlagen. Heute sagt meine Patientin, aufkommende Kopfschmerzen seien ein Warnsignal für sie: »Achtung, pass mal auf, dass du nicht wieder Dinge tust, die du gar nicht willst!« Aus dem ungebetenen Gast, der sie so gequält hatte, ist ein Verbündeter geworden, der ihr hilft, besser auf ihre innere Stimme zu hören und auf ihr psychisches Gleichgewicht zu achten.
    Wenn wir es also schaffen, die Warnsignale unseres Körpers
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