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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
Autoren: Georg Pieper
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werde ich sehr oft mit Klagen und negativen Sichtweisen konfrontiert, obwohl es vielen dieser Menschen objektiv gar nicht schlecht geht; man könnte auch sagen: Sie klagen auf hohem Niveau. Manchmal möchte ich ihnen zurufen, sich einmal näher mit den Problemen derjenigen zu beschäftigen, die wirklich einen Grund zum Klagen haben, weil sie einen schweren Schicksalsschlag erlebt haben, damit sich ihre Sichtweise relativiert. Doch dann denke ich wieder, es muss einen Grund geben, warum diese Überforderungshaltung immer heftigere Blüten treibt und immer mehr Menschen umklammert hält. Dass es eine fatale Wechselwirkung gibt zwischen unseren immer stärker wachsenden Ansprüchen, der trügerischen Sicherheit, alles im Griff zu haben, und dem Gefühl des totalen Scheiterns, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
    Dieses Buch handelt von Menschen, bei denen es eben nicht nach Plan gelaufen ist, die extrem schlimme Dinge in ihrem Leben erfahren haben. Und dennoch möchte ich es gerne als ein »Mutmachbuch« bezeichnen. Denn bei der Lektüre wird auch ersichtlich, dass wir Menschen ungeahnte eigene Heilkräfte in uns tragen, die aktiviert werden, sobald wir den ersten Schritt wagen. Der mag oft der schwerste sein, aber es ist tröstlich zu erfahren, dass wir – oft verschüttet geglaubte – Fähigkeiten besitzen, auch schwerste Schicksalsschläge zu überwinden. Wir müssen nur lernen, diese Kräfte wieder freizulegen.
    Aus den Erfahrungen meiner täglichen Arbeit weiß ich, dass es bestimmte Grundsätze gibt, die sich in Extremsituationen als hilfreich erwiesen haben. Manche Beispiele, die ich im Folgenden schildern werde, mögen drastisch sein, zeigen aber genau deshalb auch eines: Wir sind für das Überleben gemacht! Natürlich können wir dabei einiges falsch machen, diese Instinkte unbewusst blockieren und so im schlimmsten Fall an einem Trauma leiden, das uns ein Leben lang umklammert hält. Ich denke dabei auch an meinen Vater und viele Menschen seiner Generation. Als Kind bekam ich fast täglich mit, dass mein Vater nachts schweißgebadet aufwachte, oft geweckt von seinen lauten Schreien. Ich ahnte, dass es irgendwie mit seinen Kriegserlebnissen zu tun hatte, aber das war ein Thema, über das nicht gesprochen wurde. Papa brauchte zwei Schlafanzüge pro Nacht, so war das eben, Punkt. Heute weiß ich, dass er – wie so viele andere – durch die grauenvollen Dinge, die er erlebt hatte, traumatisiert war. Und ich bedauere es sehr, dass er aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen, die eine Verdrängung der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs begünstigten, keine Chance hatte, diese Traumata aufzuarbeiten. Bei vielen Betroffenen, die den Krieg erlebt haben, brechen die seelischen Verwundungen erst nach Jahrzehnten mit aller Wucht auf. Oder in Situationen, bei denen sie sich ihre heftige emotionale Reaktion nicht erklären können, weil sie scheinbar in keinerlei Zusammenhang mit dem Vergangenen stehen. Wagen die Betroffenen dann eine Konfrontation mit der Vergangenheit, wird ihnen klar, wie sehr ihr bisheriges Leben (und unter Umständen das ihrer Familien) von diesem Trauma geprägt war. Ich erinnere mich etwa an die Geschichte eines Vaters, der seine Kinder stets heftig anging, wenn sie ihre Kleider vor dem Zubettgehen nicht vernünftig und in der »richtigen Reihenfolge« auf einem Stuhl ablegten. Eine Erklärung für dieses pedantische Verhalten fand er erst, als er sich an die Bombennächte erinnerte. Seine Eltern hatten ihm eingebläut, dass wenige Minuten über Tod oder Leben entscheiden konnten.
    Die Traumata des Krieges, die ich bei meinem Vater und vielen anderen seiner Generation wahrnahm, haben mich nicht nur geprägt, sondern auch in meiner Berufswahl beeinflusst. Ich habe zunächst in der Familie und später während meiner Arbeit mit schwer traumatisierten Katastrophenopfern erfahren, dass der erste Schritt zur Bewältigung das Reden über das Erlebte ist. Schweigen und Verdrängen verlängern das Leid – allerdings ist das eine Einsicht, zu der wir meist erst dann gelangen, wenn wir ein Problem, eine Krise bereits angepackt haben. Stecken wir mittendrin, scheint es uns oft unmöglich, die Kraft zum Hinsehen aufbringen zu können. Und damit bremsen wir unsere Überlebensinstinkte, unsere Fähigkeit, das Schlimmste bewältigen zu können, aus.
    Wir können aber auch vieles tun, um diese Überlebensmechanismen zu unterstützen und zu fördern. Viele Menschen, deren Leben von einer Krise erschüttert
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