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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Autoren: Inge Deutschkron
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Zusammenhänge. Ich schrieb auf, was ich gesehen hatte. Und ich fand später Leser dafür unter den Deutschen, denen in zwölf Jahren Nazidiktatur die Welt fremd geworden war. So führte mich diese Reise zu meinem Beruf – dem Journalismus, der mir mehr wurde als nur ein Broterwerb.
    Ich überlegte nicht lange, wo ich in Zukunft leben und arbeiten wollte. Die acht Jahre in England hatten mich nicht zum Bleiben veranlaßt. Zu Palästina, dem späteren Israel, hatte ich keinerlei Bindungen. Also kam nur Deutschland in Frage. Dort, so glaubte ich, würden nun Menschen an der Macht sein, die dem Typ jener glichen, die mir zum Überleben verholfen hatten. Und sie würden ein demokratisches Deutschland aufbauen und danach streben, nach der schrecklichen Vergangenheit ein geachtetes Mitglied der Völkerfamilie zu werden. Ich wollte daran mitarbeiten. So in etwa meine etwas naive Entscheidung.
    Als ich Mitte der fünfziger Jahre nach Bonn kam, fand ich vor, was ich nicht erwartet hatte. Alte Nazis und solche, die für den Aufstieg Hitlers Mitverantwortung trugen, saßen nun in einigen der wichtigsten Regierungsämtern. Ich verstand das nicht. Die Hitlerzeit war für meine Begriffe nicht nur eine unselige Phase in der Geschichte Deutschlands gewesen. Hitler hatte die ganze Welt in einen fürchterlichen Krieg gestürzt. Unter seiner Herrschaft mußten viele Millionen Menschen gewaltsam sterben. Vergessen konnte ich aber auch nicht, was Hitler dem deutschen Volk angetan hat. Er zerstörte die erste Demokratie in diesem Land und setzte eine grausame Diktatur an ihre Stelle. Er machte die Deutschen zu Sklaven, die, wenn sie seine Gesetze nicht befolgten, die furchtbaren Instrumente des Terrors und der Folter zu spüren bekamen. Denunziantentum wurde gepflegt und gefördert, dem Blockwart jede Vollmacht erteilt. Mit Hilfe einer nie schweigenden Propaganda hämmerten die Nazis den Deutschen ihre These von den Menschen ein, die ein Recht auf Leben hatten, und jenen, die vernichtet werden müßten. Und das betraf nicht nur Juden, Sinti und Roma, Polen und Russen, sondern auch Deutsche, die dem nazistischen Idealbild nicht entsprachen. Und ich fragte mich nun und tue das heute immer wieder: „Wie konnten die Deutschen Männern, die für diese schrecklichen Verbrechen mitverantwortlich wurden, noch einmal Vertrauen schenken?“ Ich spürte bald, daß viele Deutsche mich und meine Einstellung nicht verstanden. Für manche mag ich eine lebendige Anklage, unangenehm und unbequem gewesen sein. Andere waren ausschließlich damit beschäftigt, die Gegenwart und die Zukunft zu bewältigen, so daß sie keine Gedanken an die Vergangenheit verschwenden wollten. Sprach ich mein Entsetzen darüber aus, erhielt ich Ratschläge, doch nicht die Vergangenheit zur Richtschnur meines Denkens und Handelns zu machen und das auch nicht von anderen zu verlangen. Ich fühlte mich bald sehr fremd in Deutschland, unsicher und allein.
    Die israelische Zeitung MAARIV bot mir 1958 an, für sie in Bonn als ihre Deutschland-Korrespondentin zu arbeiten. Ich sagte zu. Zunächst sah ich darin eigentlich nur einen Broterwerb. Die Redaktion erwartete von mir, daß ich ihren Lesern ein Bild vom neuen Deutschland vermittelte. Die Mehrzahl ihrer Leser stand Deutschland skeptisch gegenüber und glaubte nicht an eine so schnelle Abkehr vom Nationalsozialismus hin zur Demokratie. So ergab es sich, daß Anzeichen für eine positive Entwicklung in den fünfziger und sechziger Jahren in Deutschland eine schlechte Plazierung in der Zeitung fanden, Berichte über ehemalige, auch belastete Nazis und ihre Karrieren im neuen Deutschland hingegen auf der ersten Seite zu lesen waren. Dafür bot die Bonner Regierung auch ausreichend Material an. Ich leugne nicht, daß es auch in meinem Sinn war, der israelischen Öffentlichkeit bekannt zu machen,
daß alte Nazis auch im neuen Deutschland zu Ministern und Staatssekretären aufsteigen konnten,
daß ehemalige Nazis im Bundestag, in allen Parteien, in allen Verwaltungen, vielfach in hohen Positionen mitarbeiteten,
daß Richter, die in den 12 Jahren und besonders im Zweiten Weltkrieg insgesamt 32.000 Todesurteile verhängt hatten, nicht in einem einzigen Verfahren zur Rechenschaft gezogen worden waren,
daß die Justiz voll war von Richtern und Staatsanwälten, die schon im Dritten Reich „Recht“ gesprochen hatten,
daß Naziverbrecher, wenn sie trotz vieler Verschleppungstaktiken von Polizei und Staatsanwälten vor Gericht gestellt
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