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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Autoren: Inge Deutschkron
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anderes, ein neues Deutschland aufzubauen. Das ging solange gut, bis die Politik sie einholte. Die Kommunisten, die davon überzeugt gewesen waren, daß dieses von den Nazis befreite Deutschland ihnen wie eine reife Frucht in den Schoß fallen würde, sahen sich getäuscht. Da versuchten sie, die Sozialdemokraten, die in Berlin und im Osten Deutschlands in der Gunst der Wähler vorne lagen, für sich zu gewinnen. Sie griffen den alten Traum von der Einheit der Arbeiterklasse auf und nahmen ihn als Vorwand, um die Sozialdemokraten in ihre Reihen zu zwingen und mit Hilfe ihrer Wählerstimmen an die Macht zu gelangen. Diese tödliche Umarmung der Sozialdemokraten konnten sie in der sowjetisch besetzten Zone mit den Bajonetten der sowjetischen Armee verwirklichen.
    Ich war, für meine Herkunft verständlich, in die neu gegründete Sozialdemokratische Partei eingetreten und avancierte zur Vorsitzenden der kleinen Betriebsgruppe SPD in dieser Verwaltung. Ohne Scheu und Zögern wandte ich mich gegen die Strategie der Kommunisten. Ich erklärte, ich hätte wahrlich nichts gegen die Einheit der Arbeiterbewegung, wohl aber etwas dagegen, wenn sie auf undemokratische Weise von oben diktiert durchgeführt werden sollte. Die Vorstellung, daß jemand erneut die kaum errungene Freiheit und die neue demokratische Ordnung untergraben könnte, erschien mir nach den Erfahrungen der schrecklichen Jahre unter der Nazidiktatur unerträglich. Und so bekämpfte ich offen jede Regung, die in diese Richtung zu deuten schien. Ich tat dies mit der ganzen Naivität meiner Jugend und meiner politischen Unerfahrenheit.
    Das brachte mir ein Gespräch mit dem in der Verwaltung ansässigen Vertreter der sowjetischen Militäradministration ein. Liebenswürdig empfing er mich, bedauerte mein Schicksal, wurde streng, als ich es ablehnte, seiner Aufforderung, Mitglied der SED zu werden, nachzukommen. Schließlich fragte er hintergründig: „Wenn Sie die Möglichkeit hätten, in die Sowjetunion oder in die USA zu reisen, wohin würden Sie fahren?“ Ich antwortete ihm, daß ich als Sozialistin natürlich großes Interesse daran hätte, das Mutterland des Sozialismus kennenzulernen. Mir schiene aber auch ein Besuch in den USA wichtig. Denn wollte man die Übel des Kapitalismus bekämpfen, müßte man sie kennen. Aber nach England würde ich bald reisen. Nun entließ er mich schnellstens. Wenige Tage danach wurde ich gewarnt. Die sowjetische Militäradministration hatte meine Papiere angefordert. Mir drohte Verhaftung. Ich entkam dieser neuen Gefahr.
    Ich glaubte, meinem unvollkommenen Englisch nicht zu trauen, als mir der Beamte der Einwanderungsbehörde am 2. August 1946 im Hafen von Folkestone eröffnete, ich hätte mich als feindliche Ausländerin einmal die Woche bei der Polizei zu melden. Der entsprechende Ausweis verpflichtete mich außerdem, mich nach 24 Uhr im Hause aufzuhalten und nicht über fünf Meilen hinaus ohne polizeiliche Genehmigung zu reisen. Meine Aufenthaltsdauer sei auf sechs Monate beschränkt. Eine Arbeitsbewilligung sei ebenfalls nicht zu erwarten. Wohl gemerkt, ich war mit einem Visum nach England gekommen, das nur Opfern des Faschismus oder sogenannten displaced persons zustand. England versagte zur damaligen Zeit jedem anderen Deutschen die Einreise. Mein Entschluß, diesem unfreundlichen Land so bald wie möglich den Rücken zu kehren, stand schon an diesem 2. August 1946, dem Tage meiner Ankunft, fest.
    Ein englischer Politiker griff später die Absurdität der mir zuteil gewordenen Behandlung auf und bewirkte, daß ich von einem feindlichen zu einem normalen Ausländer avancierte, der zwar mehr Rechte hatte, aber ebensowenig in die englische Gesellschaft aufgenommen wurde.
    Ich blieb acht Jahre in England, studierte zunächst und arbeitete dann im Büro der Sozialistischen Internationale in London. Dort lernte ich führende Sozialisten aus aller Welt kennen. Die Sozialisten Indiens luden mich zu einem Besuch in ihr Land ein. Dies schien mir im Jahre 1954, als es noch keine Reisegesellschaften und nur wenige Fluglinien gab, doch recht abenteuerlich. Aber vielleicht war gerade das der Grund, daß ich die Reise unternahm. Ein ganzes Jahr durchstreifte ich Indien, Burma und Nepal, überall von Sozialisten betreut und geführt. Die Erlebnisse und Erfahrungen in einer für mich fremden Welt überwältigten mich. Ich saugte sie auf, lernte bei jedem Schritt Neues über das Leben anderer Völker. Ich erkannte politische
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