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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Autoren: Inge Deutschkron
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die er gegen die in seiner Werkstatt produzierten Besen und Bürsten eintauschte. Und schließlich benutzte er die auf diese Weise erstandenen Waren, um sich der Gunst der Gestapo zu versichern, die alle Betriebe, in denen Juden beschäftigt wurden, unter Kontrolle hielt. Daraus wurde eine Beziehung, die für uns wie für ihn von größter Bedeutung werden sollte. Ein den Eingang überwachendes Lehrmädchen machte uns durch eine Klingel auf nicht angekündigte Besuche von Gestapobeamten aufmerksam, wie etwa vom stellvertretenden Leiter des Judenreferats Prüfer. Wir flohen dann aus dem Büro in ein Versteck im Treppenhaus, während zwei nichtjüdische Angestellte unsere Plätze einnahmen. Das war alles viele Male geübt worden. Von unseren Verstecken aus hörten wir, wie Weidt den Prüfer liebenswürdig begrüßte, ihn durch den Betrieb führte, in dem er die „Saujuden“, wie er uns bei solchen Gelegenheiten nannte, zu arbeiten gelehrt hatte. Für uns endete so ein Besuch mit einem Glas Wein und viel Gelächter. An die Blinden verteilte Weidt Zigaretten zum Trost für die ausgestandene Angst.
    Ich ging gern in die Blindenwerkstatt. Wie alle, die dort arbeiteten, verehrte ich Otto Weidt, der uns nicht nur praktische Hilfe leistete. In der Art, wie er uns zur Seite stand, gab er uns ein Stück Selbstachtung zurück. Ja, er tat etwas für jene Zeit Unglaubliches: Er behandelte uns wie Menschen, kam uns mit Respekt entgegen, half uns, uns aufzurichten, sann mit uns über Auswege aus schwierigen Situationen nach, wußte immer wieder Rat.
    Vom Beginn des Krieges an dachten sich die Nazis fast täglich neue Gesetze und Verordnungen aus, mit denen sie uns das Leben erschwerten. Wir durften keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen, mußten nach acht Uhr abends zu Hause sein, bekamen keine Seife zugeteilt, durften nicht zum Friseur gehen, mußten zwischen vier und fünf Uhr nachmittags unsere Einkäufe tätigen, durften unsere Wäsche nicht waschen lassen und vieles mehr. Daß die Gumzens das Verbot, die Wäsche von Juden zu waschen, mißachteten, brauche ich wohl kaum hervorzuheben. Zu den Verordnungen gehörte auch, daß wir in sogenannte Judenhäuser eingewiesen wurden, in denen sich jeweils zwei Personen ein Zimmer teilen mußten. In diesen Wohnungen lebten Menschen zusammen, die von Not und Angst getrieben wurden, was wohl am nächsten Tag auf sie zukommen würde und ob sie die Kraft haben würden, damit fertig zu werden. Gerüchte machten die Runde.
    Hinzu kam die Sorge um Angehörige im Ausland – Kinder, Ehemänner, Eltern –, von denen sie durch den Krieg abgeschnitten waren. Die Atmosphäre in dieser Wohnung war schier unerträglich.
    Ich erklärte eines Tages meiner entsetzten Mutter, daß ich dieser Atmosphäre hin und wieder zu entfliehen und das Verbot zu brechen gedachte, das Juden den Besuch von Theatern, Konzerten und Kinos untersagte. Ich brauchte diese zwei, drei Stunden Ablenkung, um neue Kraft zu schöpfen und weiteren Quälereien mit relativem Gleichmut begegnen zu können. Dazu mußte ich den im September 1941 verordneten Judenstern abnehmen, den jeder Jude vom 6. Lebensjahr an an seinem äußeren Kleidungsstück zu befestigen hatte. Eine dieser perfiden Anordnungen, die uns vogelfrei machte. Auf der Straße sah uns jeder an, einige mit Haß, wenige freundlich, die Mehrzahl sah durch uns durch, aber sie sahen uns an. So verließ ich am Abend unser Haus mit dem Judenstern an der Jacke. In einem dunklen Hausflur tauschte ich diese mit einer ohne Stern, die ich in einer Tasche mit mir trug. Auf dem Heimweg mußte ich die Jacken noch einmal wechseln, denn ohne den Stern konnte ich unser Haus nicht wieder betreten. Als großen Triumph empfand ich es, daß ich meine Mutter zu einem uns verbotenen Spaziergang in den Grunewald überreden konnte.
    Im Oktober 1941 begannen die Deportationen jüdischer Menschen aus Berlin „in den Osten“, wie wir in Unkenntnis des wahren Ziels zu sagen pflegten. Noch ahnten wir nicht, daß wir alle zum Tode verurteilt waren und daß die Transporte der Vollstreckung dieser Todesurteile entgegenfuhren. Einer von Weidts Blinden war für einen der ersten Transporte vorgesehen. Weidt eilte zur Gestapo und forderte die Rücknahme dieser Maßnahme. „Wie soll ich denn meine Wehrmachtsaufträge ausführen, wenn man mir meine Arbeiter wegnimmt?“, trumpfte er auf. Ein Argument, das er mit einem passenden Geschenk für den Gestapobeamten unterstützte. Und es wirkte. Der
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