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Überfall im Hafen

Überfall im Hafen

Titel: Überfall im Hafen
Autoren: Stefan Wolf
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spiegelt. Die Gefiederten merken nicht,
daß sie gegen ein unsichtbares Hindernis anfliegen. Verhindern kann man das
nur, wenn man die Papier-Silhouetten von Raubvögeln auf die Scheiben klebt.
Naja!“
    „Du hast also schon oft tote Vögel
aufgelesen“, sagte Gaby. „Und?“
    „Die kleinen Körper waren warm — sofern
sie nicht schon lange rumlagen. Warm, versteht ihr. Weil auch bei erloschenem
Leben die Abkühlung erst später eintritt. Unsere Krähe war kalt. Kalt und
steif.“
    „Unmöglich!“ sagte Klößchen.
    „Nämlich?“
    Klößchen blies die Backen auf. „Denk
doch mal logisch! Die Alarmanlage hatte gerade erst losgeheult. Also ist die
Krähe gerade erst durchs Fenster gedonnert. Also war sie noch nicht lange tot,
als wir kamen. Sie muß noch warm gewesen sein. Vielleicht hattest du kalte
Hände.“
    „Weder kalte Hände noch kalte Füße“,
erwiderte Tim. „Dein Gedanke ist zum Teil richtig. Aber du ziehst den falschen
Schluß.“
    Karl schaltete sich ein. „Wenn mich
meine biologischen Kenntnisse nicht täuschen, handelt es sich bei dem
vorliegenden Tierkadaver um die sterblichen Reste eines Corvus frugilegus, auch
Saatkrähe genannt. Sie wird 46 Zentimeter hoch, gehört zu den Rabenvögeln, die
wiederum die größten Sperlingsvögel sind mit ansehnlichen Vertretern wie
Elster, Nebelkrähe, Rabenkrähe, Kolkrabe, Dohle, Eichelhäher. Sie haben rauhe
Stimmen und fressen alles, was sie finden. Ich möchte Tims Beobachtung, daß es
sich um eine ziemlich kalte Saatkrähe handelt, bestätigen. Demzufolge trat der
Tod schon vor geraumer Zeit ein: heute nacht, heute morgen oder gar gestern.
Das alte Naturgesetz — tote Vögel fliegen nicht — gilt auch für die Saatkrähe.
Also gelangte sie nicht aus eigener Flügelkraft durch die Scheibe, sondern
wurde — geworfen.“
    Tims Spaten stieß auf einen großen
Stein.
    Es war nicht erforderlich, ihn
auszubuddeln — das Loch war tief genug.
    Tim bettete die Krähe hinein und häufte
die Erde über sie.
    Alle schwiegen bis jetzt.
    Klößchen dachte angestrengt nach.
    „Entweder es ist ein dummer Streich“,
sagte Gaby, „oder ein Dieb hat sich den neuesten Trick ausgedacht. Die Krähe
ist verantwortlich für den Alarm. Irgendwer kommt und schaltet die Alarmanlage
ab — weil ja dies Geheul kein Zustand ist. Der Hausherr ist auf Reisen. Und der
Dieb braucht nur bis zum Anbruch der Dunkelheit zu warten, um dann in aller
Ruhe als Einbrecher einzusteigen.“
    „Diesen deinen Worten“, sagte Tim, „ist
nichts hinzuzufügen. Höchstens dies: Wir halten die Klappe. Nachher aber machen
wir unseren kleinen Abendspaziergang, denn die Bewegungsarmut des heutigen
Tages bringt einen ja um. Du, Gaby, schleichst dich alsbald auf dein Zimmer —
was ja ganz offiziell sein kann. Wir drei hingegen verstecken uns drüben im
Garten und lauern dem Einbrecher auf.“
    „Ich komme mit!“ sagte Gaby.
    „Auf keinen Fall!“ Tim schüttelte den
Kopf. „Vielleicht sind es mehrere Einbrecher. Vielleicht sind sie bewaffnet.
Vielleicht besonders rücksichtslos. Du begibst dich nicht in Gefahr.“
    Es ging eine Weile hin und her.
    Tim setzte sich durch.
    Deshalb war Gaby nicht ärgerlich. Im
Gegenteil. Seine Fürsorge tat wohl — und weibliche Gleichberechtigung bedeutet
ja nicht, daß man in jedem Fall gleichzieht.
    Tim stampfte die Erde fest und legte
ein paar Steine auf das Vogelgrab.
    Dann gingen alle ins Haus, und Tim
verschwand erstmal im Bad, um sich mit Seife und Desinfektionsmittel die Hände
zu schrubben. Wegen eventueller Ansteckungsgefahr war das unbedingt ratsam.
Wußte er doch nicht, woran die Krähe gestorben war — ob an Keuchhusten,
Gelbfieber oder Maul- und Klauenseuche. Was tierische Erkrankungen betraf,
hatte er null Ahnung.
    Er fand die andern im Kaminzimmer.
    Hermann hatte ein supermodernes Telefon
am Ohr — eins ohne Schnur, mit dem man durch den Garten spazieren kann und an
keine Anschlußbuchse gebunden ist.
    „...wunderbar, Detlef!“ sagte er
gerade. „Freue mich! Klasse! Bis gleich!“
    Er beendete das Gespräch.
    Tim setzte sich zu Gaby auf die Couch.
    Oma lächelte ihm zu. Sie hatte ein
gefülltes Sherry-Glas vor sich und nippte hin und wieder daran.
    „Tut mir leid, Mutter“, sagte Hermann,
„aber sie kommen alle drei: Theo, Jürgen und Detlef. Ist Zufall, daß ich sie im
Jacht-Club erreicht habe. Nun wollen sie mich unbedingt begrüßen, was mich ja
freut.“
    „Und mich doch auch“, rief Oma. „Deine
alten Freunde! Was bieten wir
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