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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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einer Wolke auf.

    Ich gab mir Mühe mit Patrick. Ich buchte für uns Last-Minute-Flüge nach Miami; wir stiegen einen Tag im Radisson ab und drei in einem Motel namens Harvey’s . Ich fütterte ihn mit huitres à la silhouette in den Délices de la Dordogne , mit Rinderbäckchen im Anzengruber . Ich führte ihn ins Moulin d’Alsace , ins Berg & Tal , in den Garten vom Weizsäcker’s . Im Weizsäcker’s trat eine Wahrsagerin in orangefarbener Strumpfhose auf uns zu; eilig zahlte ich und überließ unseren Entre-deux-Mers den Wespen.
    Einmal nahm ich ihn auch mit ins Camelot , wo Benoît uns Caprices des Carmelites und Bouillabaisse Schlotsky servierte, sich zur Crème lusitane an unseren Tisch setzte und uns seinen Traum von einem Glasbodenrestaurant auf dem Mittelmeer ausmalte, mit Doraden, Meerbrassen und Schilflingen unter dem Kiel, von Suchscheinwerfern zum Leuchten gebracht.
    Als mein Blick versehentlich auf den reservierten Tisch unter dem Colombo-Ölbild fiel, wurde mir klar, dass es von Anfang an ein Fehler gewesen war, Patrick mitzunehmen. Ich sah auf die Uhr; es war fast halb elf geworden; es war ein Donnerstag, die Stunde nach den Vernissagen. Es war die Zeit, in der hier nur die Besten aßen, ihre Bouillabaisse bestellten und anschließend Steak tartare, umständlich zubereitet unter ihren liebenden Blicken.
    Und wahrhaftig erkannte ich Gerrit Jacobson, am Kopf der Tafel in die Weinkarte vertieft. Ich sah Brenda Schlott, die sich mit schrägen Beinen an den Tisch setzte. In den kurzen gelben Händen Raf ter Kates schwebte die rote Lederjacke über ihren Schultern wie das Tuch eines Toreros. Ira Natanowitsch stand eigens auf, um ihm um den Hals zu fallen, und Gerrit Jacobson warf ihm über zweieinhalb Meter die Speisekarte zu.
    Dann sah ich Sam Bosco und Ira Natanowitsch mit zueinandergeneigten, hitzigen Köpfen; ich sah Maren Sonntag, die kurzsichtigen grauen Augen zwei Handbreit über den Immobilienanzeigen der Abendpost . Ich sah Tenno Mittenkamp, der jetzt eine Art Rede hielt, die Fäuste gorillahaft auf das Tischtuch gestützt. Patricks Gesicht zeigte keine Reaktion, nur seinen chronisch amüsierten Blick. Und ich stellte fest, dass ich mich für ihn schämte.
    Patrick merkte nicht, dass mein Kuss nicht ihm galt, sondern der Runde am reservierten Tisch. Die Flasche Sancerre, die ich bei Benoît persönlich bestellte, trank ich fast allein aus. Dann sah ich unscharf, aber ernst in Patricks Augen; seine Hand fühlte sich weich an und willenlos. In der Toilettenkabine rutschte er aus, aber fing sich wieder. Dann steckte ich ihm den Zeigefinger in den Mund, um sein Röhren zu dämpfen.
    Als wir von der Toilette kamen, war die Runde schon aufgebrochen. Ich gab einen Scheck, nur um meine Unterschrift zu sehen; sie bewies meine Existenz, meine Unverwechselbarkeit. Das S in »Stella« hatte tatsächlich königlichen Schwung. Noch immer, nach all den Jahren.

2
    Eine meiner größten Stärken war die Freiheit von Neid. Allenfalls fühlte ich einen schwachen Stich, wenn ich mich und Patrick mit den Paaren verglich, die ich fotografierte. Aus Patricks ironisch überreichten Gerbera, seinen Fernsehabenden bei selbstgedrehten Weinblattröllchen, seinen Geocaching-Expeditionen in die Harburger Berge ließ sich keine Kraft schöpfen, die uns erhob. Unsere Nächte, Patricks Ausdauer und Ausmaße, seine überraschenden, atemlos machenden Einfälle waren nichts, was sich öffentlich vorzeigen ließ. Und sie waren nichts gegen die Synergie eines Max Thorben und einer Cheryll Montag, die schon den sechsten Film miteinander drehten und nebenbei gemeinsam eine Mädchenschule in Mali aufbauten.
    Der einzige Mensch, den ich tatsächlich beneidete, war Nina Löwitsch. Es war der flaue, sodbrennenartige Neid auf das Nahe, das unter Umständen Erreichbare; der Neid auf jemanden, zu dem auch ich hätte werden können.
    Dass die Eröffnung von Ninas Retrospektive, mit knapp vierzig Jahren und doch keinen Augenblick zu früh, auf meinen Geburtstag fiel, sah ich als Zeichen. Der junge Mann auf dem Foto, das die Einladung zierte, trug weiße Jeans wie der Fotograf in »Blow Up «.
    Nina und ich hatten den Film damals auf VHS vom Fernseheraufgenommen. Wieder und wieder hatten wir ihn zusammen angesehen, mit einem Glas Discountchampagner in der Hand und mit der Detailgier und der wissenschaftlichen Inbrunst von Archäologen. Der Fotograf in den weißen Hosen schüttelte Mädchen ab, die von ihm fotografiert werden wollten, fuhr in
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