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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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überhaupt nicht kennen .
    Doch noch der gemeinste Engel erhielt von ihnen sein Licht. Er empfing es von den Erzengeln, die Erzengel von den Fürstentümern, die von den Gewalten, Mächten und Herrschaften, die von den Thronen erleuchtet wurden, den Cherubim und schließlich den Seraphim. Denn der göttliche Strom wird durch die einen zu den anderen geleitet .
    Zwecklos zu fragen, ob die Engel meine Liebe erwiderten. Ihre Zuneigung war wertvoll, weil sie uns nicht brauchten. Man konnte ihnen nahe sein, ohne in Frage zu kommen. Ohne in Frage zu stehen.
    Aber Thomas von Aquin hat gesagt: Engel können nicht umhin zu lieben . Das war die Wahrheit; kein Engel war allein. Leicht flog er von einem zum anderen. Ich wusste, wie viel Zeit die Engel mit Liebe zubrachten, mit Traumhochzeiten in Fréjus und Seitensprüngen auf Amrum. Sie verschwendeten sich in Flirts auf Biennalen und triumphalen Gin-Tonic-Küssen im Reitmeyer . Sie bildeten Paare, die ihre Stärke verdoppelten, verdreifachten. Sie zeugten Kinder in erster, zweiter und dritter Ehe, adoptierten weitere Kinder aus Erst-, Zweit- und Drittländern. Sie gaben ihnen Namen, wie sie Rennpferde trugen. So groß war ihre Liebe.
    Dabei habe ich die Engel nie beneidet. Ich wusste, dass auch Engel nicht immer glücklich sind. Die völlige Glückseligkeit, sagt Thomas von Aquin, ist Gott selbst vorbehalten. Ich sehnte mich nicht nach ihren Aufstiegen und Himmelsstürzen, nach ihren öffentlichen Scheidungen, ihrer sauren, Tag für Tag und Jahr um Jahr niemals für eine Minute unterbrochenen Pflicht.
    Doch die Liebe war es, an der wir sie erkannten. Sie war es, an der sie gemessen werden wollten, hätte man sie jemals messen können. Und die Liebe war es auch, an der ich mich selber messen musste, koste es, was es wolle.

1
    Ich hatte mich daran gewöhnt, meine Abende nüchtern anzugehen. Ich warf mich in die Brust, sagte »Huhu, Bastian«, rief »Saaa-raaah«. Ich lockte: »Chuck, schaust du mal«, oder: »Stellen Sie sich doch mal bisschen zusammen.« Ich spürte, wie schon das Aussprechen dieser Namen ein Lächeln auf meine Lippen zauberte, das zu meinem lachsfarbenen Trenchcoat passte.
    Bald merkte ich, dass ich spüren konnte, wenn sie einen Raum betraten. Es war wie ein Ziehen im Nacken, eine leise Flauheit in den Knochen. Ich erkannte die kleinen Begrüßungsschreie, die ihrer Orientierung dienten wie der Ultraschall der Fledermaus.
    Immer war ich schon einen Schritt voraus. Noch bevor der Premierenvorhang fiel, noch bevor die Literaturhauschefin die Schlussworte sprach, noch bevor die Galeristen in die Hände klatschten und die Assistenten das Licht an- und ausknipsten, wartete ich längst bei Bruno e Salvatore , im Le Terroir oder der Strudlhofstiege , nahm strategische Positionen ein. Und bevor die letzte Flasche Marillenschnaps kreiste, stand ich schon in der Fetisch-Bar , ein Halbliterglas Mediumwasser neben mir auf der Theke.
    Sie standen auf der dritten Stufe, den linken Absatz noch in der Luft. Ihre Sohlen sahen aus wie neu. Vielleicht fanden siemich aufdringlich, vielleicht fanden sie mich charmant; es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Jeden schienen sie gleichmäßig anzulächeln, sogar die Agenturknechte, die Fellachen aus den Lokalredaktionen mit ihren Taschen; dabei wusste ich doch, dass sie niemanden sahen. Sie hatten Augen, aber keine Sehnerven. Damit sie nicht schneeblind würden vor lauter Licht.
    Ich dirigierte sie in Paare, in Trios, in Grüppchen. Ich sagte: »Aber ein bisschen enger geht’s schon noch.« Und sie drängten sich noch enger aneinander, in immer neuen Stellungen und Neigungswinkeln, bis meine Kamera nicht mehr konnte. Und später, wenn die ganze Korona noch weiterzog in die Rooftop Bar und wenn dann schließlich über dem Michel die Sonne aufging, eifersüchtig, eilig und fröstelnd – da zündete ich noch einen letzten Blitz, bevor mich das Rad zurückbrachte, durch den erwachenden Tag in die Bernstorffstraße, zu Patrick, der jetzt schon rot und großäugig aus der kalten Dusche stieg.
    Diese Fahrten waren die schönsten Momente dieser Abende. Ich fühlte eine Gemeinschaft mit den Helden und Heldinnen meiner Bilder, die nur die Nacht erzeugen konnte. Das Morgenlicht floss durch die Straßen; die Luft roch nach Brötchen und Meer. Wie im Halbschlaf trat ich in die Pedale; die Kette surrte fast von selbst. Und ich dachte noch einmal, dass es schließlich die Engel waren, die uns zeigten, dass das Universum es
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