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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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seinem Cabrio durch die Stadt und bekam erst wieder Boden unter die Füße, als er aus dem müden Londoner Spätsommer in einen Saal kam, in dem diese Band spielte. Da überschlug sich die Zeit und brüllte JETZT, wie verrückt.
    An dieser Stelle schalteten wir immer das Gerät aus und spulten zurück. Wir interessierten uns nicht für die Mordgeschichte, für die Frage nach Wahrheit und Erfindung; wir interessierten uns nur für diesen Moment.
    Ich kannte Nina Löwitsch schon seit fast zwanzig Jahren. In ihrer Wildlederjacke von Le Parachutiste war sie über den Hochschulflur gekreuzt, als hätte die Jacke viel Geld bezahlt, um von Nina getragen zu werden. Unschuldig und gleichgültig schleifte sie ihre Gefolgschaft hinter sich her wie ein Kind ein vertrautes Stofftier, führte sie in Rotlichtbars oder in Schlachterkneipen. Ich erinnerte mich an das freundliche Erstaunen, mit dem sie den Avancen der Professoren begegnete; an das listige Zwinkern des alten Max Bridukat, der Nina den Empfangssaal seiner Othmarscher Villa für eine Ausstellung ihrer Bushaltestellenfotos zur Verfügung gestellt hatte.
    Lange war ich stolz gewesen auf meine Freundschaft zu Nina Löwitsch. Die Freundschaft hatte sich über alle Statusschranken hinweggesetzt, die Fotodesigner von Filmstudenten trennten, in der Cafeteria, den Sitzgruppen auf dem Hochschulrasen und den Bars im Vergnügungsviertel. Und ich hatte mir alle Mühegegeben, mich dieser fast widernatürlichen Freundschaft würdig zu zeigen.
    Eines Abends war Nina bei meiner jährlichen Fernsehrunde zur Oscar-Verleihung im Fotoatelier der Hochschule erschienen, eine Perlenkette um den Hals und ein wahrhaftiges Diadem im Haar. Niemand wusste, wie Nina von dem Abend erfahren hatte. Meine Kommilitonen wurden still oder auf verkrampfte Art hysterisch, als Nina sich einen hölzernen Drehstuhl aus dem Abstellraum herbeischleifte und sachte rotierend, ein Bein übergeschlagen und aus spitzem Winkel die Show verfolgte.
    Ich erinnerte mich an das ängstliche Schweigen, die mühsam ausgedachten Kommentare und den hastigen Aufbruch meiner Kommilitonen, als gegen sechs Uhr früh die Übertragung vorbei war. Ich hatte die Flaschen und Pappbecher zusammengeräumt, und als ich nach Nina Löwitschs Colaflasche griff, die sie selbst mitgebracht hatte, hielt sie die Flasche fest und sagte sachlich, ohne Schwärmerei oder Ironie, ohne Schwingung und Nachhall: »Ich liebe Sean Penn.«
    Das sagte sie wie eine Frau, die eine Entscheidung getroffen hatte; die zu ihrem Mann stand, auch wenn der sich immer wieder in Schwierigkeiten brachte, auch wenn der ihr Herz zerschliss. Wie eine Frau, die stark genug war zur Verehrung, zum Ja; denn die Liebe zu den höheren Geschöpfen ist erhabener als ihre Erkenntnis.
    »Ich auch«, sagte ich, und ich wusste im selben Moment, dass Nina diese Antwort erwartet hatte, dass sie ihren Satz nur gesagt hatte, weil sie wusste, dass ich ihn bestätigen würde. Es hatte kein Auftrumpfen in diesem Satz gelegen, keine Herausforderung,kein Anspruch auf Originalität. Er war nur ein Passwort, ein Tasten nach dem Zeichen auf meiner Stirn.
    Ich erinnerte mich, dass Nina schon in ihrer Studienzeit Geld genug gehabt hatte, um mich regelmäßig in den Petit Prince zu Foie gras und Portwein einzuladen. Und ich versuchte, nicht an Ninas ostwestfälischen Vater zu denken, der einst als mittelständischer Fensterfabrikant Nebensponsor des Bielefelder Fußballvereins gewesen war und jetzt Aufsichtsratschef von Bosco Halbleiter in Höchst.
    Und während ich bald Rechnungen schrieb, monatelang auf Honorare wartete und tagelang Für und Wider abwog, bevor ich einen meiner Schuldner zu mahnen wagte, zog Nina nach Berlin. In ihrem Hauptquartier, einer umgebauten Fabrik am Westhafen, mitten in einem Mischgebiet mit städtischem Aufwertungsplan, mit gleißendem Weiß überzogen und trotz denkmalschützerischer Bedenken mit einem Dachaufbau versehen, fanden sich Berühmtheiten ein, Models, It-Girls und It-Boys, um sich von Nina in Menschen verwandeln zu lassen, in Blut und Lymphe, in Augenringe und übernächtigtes Lächeln, in eine Gestalt, die wir Lehmgeschöpfe verstanden. Sie gab ihnen die Anmut geschundenen Fleisches, die Sinnlichkeit körniger, hochaufgelöster Haut. Sie gab ihnen den Staub, um den herum sie ihre Schneeflocken auffächern konnten.
    Die Fotos kannte ich auswendig; die abwartenden Blicke auf den Bettüberwürfen von Stundenhotels, die Hände zwischen den Schenkeln, die Brüste,
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