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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben
Autoren: Jan Guillou
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Befehl sofort nach. Es war vollkommen still im Zimmer. Falls jemand geglaubt hatte, dies sei ein eigenartiger Scherz, so war diese Vorstellung jetzt verflogen. Es war ein Alptraum, aber trotzdem Wirklichkeit, und das war im ganzen Raum zu spüren und auch dem Stuck anzusehen, der wie Schnee oder glitzernder Tand im Haar derer lag, die den Männern am nächsten saßen.
    Die beiden Männer sahen sich sorgfältig um. Danach schoß der eine, der an der Tür stand, der Doppelgräfin direkt in die Brust, lud mit einer schnellen Bewegung der linken Hand nach und feuerte einen weiteren Schuß auf sie ab, als sie schon dabei war, vom Stuhl zu fallen. Sie zappelte noch einige Sekunden krampfhaft mit dem rechten Bein und blieb dann reglos liegen. Jetzt richteten die beiden Männer ihre Waffen auf die zusammengedrängt sitzende Gesellschaft. Einer der beiden, der einige Schritte vorgetreten war, hob warnend die Hand zum Zeichen, daß alle sich still verhalten sollten. Er gab seinem Kollegen ein Zeichen. Dieser faßte seine Waffe mit beiden Händen und richtete sie auf die Mitte des Tischs mit den Champagnergläsern, während er selbst behutsam einen Zettel aus der Tasche zog, darauf starrte und unmittelbar danach Estelle Hamilton mit drei Schuß tötete; er repetierte so schnell, daß es den Anschein hatte, als hätte er nur einmal gefeuert. Dann hob er erneut warnend die Hand. Vermutlich sollte es bedeuten, daß alle die Ruhe bewahren sollten. Es folgte ein Kopfnicken zu seinem Kollegen, worauf dieser durch die Tür verschwand. Im nächsten Augenblick folgte der zweite Mann und schlug die Tür hinter sich so hart zu, daß einige Deckenleisten zu Boden fielen.
    Nachdem die Tür zugeschlagen worden war, dauerte die Stille noch höchstens zwei Sekunden an. Dann stürzten die Männer zu den beiden erschossenen Frauen, brüllten einander Befehle zu und versuchten, mit der gleichen kalten Präzision zu handeln wie zuvor bei dieser selten gelungenen Schloßjagd in Schonen.
    Auf der Polizeiwache in Ystad herrschte wie erwartet friedliche Ruhe. Es war eine allgemeine Erfahrung bei der Polizei, daß die Kriminalität an bestimmten Wochenenden und gerade an Wahltagen zu sinken pflegte. Kriminalkommissar Kurt Wallander hatte dieses Problem mit seinen beiden Kollegen, die an diesem Abend Dienst hatten, eher zerstreut diskutiert. Man war zu keiner spontanen Erklärung gekommen, hatte aber darüber gewitzelt, daß die Klientel der Polizei immerhin einen gewissen Respekt vor der demokratischen Grundordnung an den Tag lege. Obwohl die Ruhe eher darauf zurückzuführen sei, daß überall Menschen unterwegs waren und die Leute sich nach Einbruch der Dunkelheit zu Hause hielten, um im Fernsehen den Wahlabend zu verfolgen. Und im Gegensatz zu Weihnachten erfordere ein Wahlabend nicht die gleich große Einnahme von Alkohol, was die naheliegendste Erklärung dafür sei, daß selbst Delikte wie das Verprügeln von Ehefrauen und häusliche Schlägereien im Verhältnis zu gewöhnlichen Wochenenden abnahmen.
    Kurt Wallander blieb allein im Fernsehzimmer sitzen und versuchte, Argumente gegen die Versicherung der Experten zu finden, daß das Ganze entschieden sei. Er hatte am Nachmittag seine Stimme abgegeben, und da er sich nach langem Zögern dazu entschlossen hatte, mit nein zu stimmen, fühlte er sich jetzt auf unklare Weise verletzt, weil eine Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht war, daß er unrecht hatte. Vielleicht war es so, na wenn schon. Aber wie konnte mehr als die Hälfte der Bevölkerung es wissen?
    Die Bürokratisierung, dachte er müde. Die muß letztlich das stärkste Argument für nein sein. Man brauchte ja nur den Versuch zu machen, das Ganze in der eigenen Welt zu sehen, um zu begreifen, was passieren konnte; als ob er nicht selbst seinen Polizeidirektor Björk als höchste entscheidende Instanz hätte, wenn es eilig war, als wäre es wirklich notwendig, daß Björk sich zunächst an einen noch höheren Vorgesetzten in Malmö wenden mußte, der wiederum seine Vorgesetzten in Stockholm anrief, der allerdings nicht gestört werden durfte, weil er gerade an einem wichtigen Essen teilnahm. Ungefähr so würde es jetzt vielleicht werden, wenn auch für ein ganzes Land.
    Er hätte seinen Bereitschaftsdienst ebensogut zu Hause in der Mariagatan ableisten können. Er brauchte ja nicht lange, um zur Wache zu kommen, wenn etwas passierte. Die Wochenenden neigten jedoch dazu, ihn melancholisch zu machen. Er versuchte, das Fernsehen zu vermeiden,
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