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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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Kräfteparallelogramm erschöpft.
    Aber wie kann eine Macht, die auf einem engmaschigen
    Konsensnetz beruht, zerfallen? Diese Frage stellt sich Foucault immer wieder: »Soll man nun sagen, daß man notwendig ›innerhalb‹ der Macht ist, daß man ihr nicht ›entrinnt‹, daß es kein absolutes Außen zu ihr gibt, weil man dem Gesetz unvermeidlich unterworfen ist?«58 Genau besehen ist dies die Feststellung, die Roland Barthes trifft, wenn er sagt, daß man der Sprache niemals entrinnen könne.
    Foucaults Antwort lautet: »Das hieße, den strikt relationalen Charakter der Machtverhältnisse verkennen. Sie können nur kraft einer Vielfalt von Widerstandspunkten existieren, die in den Machtbeziehungen die Rolle von Gegnern, Zielscheiben, Stützpunkten, Einfallstoren spielen … Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung – die Seele der Revolte, den Brennpunkt aller Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, konzertierte, schleichende, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite, interessenbedingte oder opferbereite … Die Widerstandspunkte, -knoten und -herde sind mit größerer oder geringerer Dichte in Raum und Zeit verteilt, gelegentlich kristal-lisieren sie sich dauerhaft in Gruppen oder Individuen oder entzünden bestimmte Stellen des Körpers, bestimmte Augenblicke des Lebens, bestimmte Verhaltensweisen … Aber weit häufi ger hat man es mit mobilen und transitorischen Widerstandspunkten zu tun, die sich verschiebende Spaltungen in eine Gesellschaft einführen, Einheiten zerbrechen oder Umgruppierungen her-vorrufen, die Individuen selber durchkreuzen, zerschneiden und umgestalten …«59
    In diesem Sinne kann die Macht, in der man lebt, von innen heraus zerfallen: Sie selber gebiert den Zerfall des Konsensgefüges, auf das sie sich stützt. Was mir hier wichtig ist, im Rahmen dieses Artikels, ist der Hinweis auf die Homologie zwischen diesen permanenten Zerfallsprozessen, die Foucault (recht allusiv) beschrieben hat, und der Funktion, die Barthes der Literatur im Innern des sprachlichen Machtsystems zuweist. Ein Hinweis, der uns vielleicht dazu anregen könnte, auch ein paar Refl exionen über einen gewissen Ästhetizismus der Foucaultschen Sicht an-zustellen, zumal seit Foucault sich neuerdings (siehe die letzten Interviews) gegen das Ende der schriftstellerischen Tätigkeit und gegen die Theoretisierung des Schreibens als einer subversiven Tätigkeit ausgesprochen hat. Oder auch uns zu fragen, ob Barthes die Literatur – wenn er sagt, sie sei eine offene Möglichkeit auch für Naturwissenschaftler und Historiker – nicht zu einer bloßen Allegorie der Kritik- und Widerstandsformen gegen die Macht im größeren Rahmen der Gesellschaft verkürzt. Klar zu sein scheint mir, daß diese Oppositionstechnik gegen die Macht, die immer von innen kommt und diffus ist, nichts zu tun hat mit den Oppositionstechniken gegen die Kraft, die immer von außen kommen und punktförmig sind. Die Oppositionen gegen die Kraft erhalten stets eine unmittelbare Antwort, wie beim Zusammenstoß zweier Billiardkugeln; die Oppositionen gegen die Macht erhalten stets indirekte Antworten.
    Probieren wir es mit einer Allegorie, inspiriert von amerikanischen Gangsterfi lmen der dreißiger Jahre. In den Kneipen und Wäschereien von Chinatown zieht eine Gang das Racket der »Schutzgelder« auf. Kraftakte. Man geht rein, verlangt die Moneten, und wenn der Besitzer nicht zahlt, haut man den Laden zusammen. Der Besitzer kann der Kraft mit Kraft begegnen: Er haut den Gangstern eins in die Fresse. Das Resultat ist unmittelbar: Am nächsten Tag kommen sie mit einer größeren Truppe. Das Kräftespiel (Powerplay) kann zu eindämmenden Modifi kationen im Leben von Chinatown führen: Panzertüren, Alarmsysteme … Blitzableiter.
    Allmählich durchdringt jedoch das neue Klima die Bewohner von Chinatown: Die Restaurants schließen früher, die Leute gehen abends nicht mehr aus, die anderen Ladenbesitzer sehen ein, daß es vernünftiger ist zu zahlen … Es etabliert sich ein Legitimationsverhältnis der Gangstermacht, und alle kollaborieren, auch diejenigen, die lieber ein anderes System hätten. Die Macht der Gangster beginnt, sich auf symbolische Gehorsamsverhältnisse zu gründen, in denen die Gehorsamen ebenso mitverantwortlich sind wie die Gehorsam Erzwingenden.
    Jeder arrangiert sich
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