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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern
Autoren: Robert Silverberg
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vertraut wie seine eigene Körperhaut. Und trotzdem stolperte er zuweilen ohne Vorwarnung in bestürzende Zustände der Verwirrung, während derer sich das Gefühl der Vertrautheit vollkommen auflöste und verschwand und er sich hier wie ein Fremdling vorkam: Tage, an denen er glaubte, er sei gerade erst auf Hydros angekommen, als wäre er vom Himmel gestürzt wie eine Sternschnuppe, ein Ausgestoßener aus seiner wahren, weit entfernten Heimat. Manchmal sah er im Geiste seine verlorene Mutterwelt leuchten, die ERDE, hell wie ein Stern, und auf ihr die riesigen Landmassen inmitten der großen blauen Meere golden-grün, die ‚Kon-tinente’ genannt wurden... und dann dachte er: Dort bin ich zuhaus, dort ist meine wahre Heimat. Lawler fragte sich oft, ob auch manche von den anderen Menschen auf Hydros jemals hin und wieder von ähnlichen Gefühlen befallen wurden. Wahrscheinlich schon, aber niemand redete jemals darüber. Sie waren ja schließlich allesamt hier ‚Fremde’, und diese Welt gehörte den Gillies. Er und alle Seinesgleichen waren hier nichts weiter als uneingeladene Gäste...
    NUN WAR ER am Gestade angelangt. Das altvertraute grobe, seiner Textur nach wie alles auf dieser künstlichen Insel ohne Erdkrume und Vegetation holzähnliche Geländer schmiegte sich unter seine Hand, als er zum Uferwall hinaufkletterte.
    Hier veränderte sich die Topographie der Insel, die von der künstlichen Erhebung im Zentrum graduell bis zum darum herum gelagerten Meeresbollwerk abgefallen war, abrupt, und der Boden wölbte sich nach oben und bildete einen Meniskus, einen halbmondförmigen Rand, der den inneren Straßen Schutz bot, außer gegen die allerschwersten Sturmfluten. Hier faßte Lawler das Geländer und lehnte sich nach vorn über das dunkle schmatzende Wasser hinaus, als wolle er sich dem allumschlingenden Ozean zum Opfer anbieten.
    Trotz der Dunkelheit besaß er ein klares Bild von der kommaförmigen Inselgestalt und seiner exakten Position am Ufer. Von einer Spitze zur anderen war die Insel acht Kilometer lang, ihre größte Breite betrug etwa einen Kilometer, gemessen vom Rand der Bucht bis zur Spitze des hinteren Bollwerks gegen die offene See. Lawler stand fast im Mittelpunkt der inneren Krümmung der Bucht. Rechts und links von ihm ragten die zwei gebogenen Inselarme hinaus, der rundlichere Teil, den die Gillies bewohnten, und der schmalere zugespitzte Sporn, auf dem dichtgedrängt das Häufchen Menschen hauste.
    Direkt vor ihm lag umschlossen von diesen zwei ungleichen Landzungen die Bucht, das lebendige Herz der Insel. Die gillianischen Erbauer der Insel hatten hier einen künstlichen Boden errichtet, ein Unterwasserschelf aus Holzkelp in Verbundbauweise, das von Arm zu Arm an der Insel befestigt war, so daß sich eine konstante flache, fruchtbare Lagune vor ihr bildete, sozusagen ein privater Teich. Die ungezähmten bedrohlichen Räuber, die im offenen Meer ihr Unwesen trieben, kamen niemals in diese Bucht; möglicherweise hatten die Gillies vor langer Zeit einen Vertrag mit ihnen geschlossen. Ein Geflecht schwammiger bodenbedeckender Nachtalgen, die ohne Licht auskommen konnten, verbanden die Unterseite des Buchtgrundes fest und schützten und erneuerten sie durch ihr stetiges unbeirrbares Wachstum dauerhaft. Darüber lagen Sande, die von Stürmen vom gewaltigen unerforschten Ozeanboden weit draußen herangespült worden waren. Darüber erhob sich ein Dschungel von hundert oder mehr nutzbaren Meerespflanzen, zwischen denen allerlei Seegetier umherschwamm. Verschiedenartige Schalentiere besetzten die tieferen Bereiche, filterten das Meerwasser durch ihr weiches Gewebe und sammelten dabei wertvolle Mineralien an, welche die Insulaner verwerten konnten. Zwischen ihnen lebten frei schwimmende maritime Würmer und Schlangen. Rundliche und schlanke Fische weideten dort. Lawler sah in eben diesem Augenblick eine Herde riesenhafter phosphoreszierender Meerestiere sich da draußen tummeln und Wellen bläulich-violetten Lichts pulsen: die großen als ‚Mäuler’ bekannten Tiere, oder vielleicht auch die sogenannten ‚Plattformen’, es war noch zu dunkel, sie zu unterscheiden. Und jenseits des hellgrünen Wassers der Bucht lag der weite Ozean und wogte bis an den Horizont und darüber hinaus und hielt die ganze Welt in seinem Griff, eine behandschuhte Hand, die einen Ball umfängt. Wie Lawler so hinausstarrte, spürte er wie immer die unermeßliche Wucht und Kraft und Schwere des Ozeans.
    Er betrachtete das
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