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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Leggings und Mokassins. Sein Haar und seine Lederkleidung waren über und über von Staub beschmutzt und von Blut besudelt, das verklebt und angetrocknet war. Die Hände waren dem Gefangenen auf den Rücken gebunden, eine Kette war ihm einschnürend um die Hüfte geschlossen, die Füße so gefesselt, daß er nur kleine Schritte machen konnte. Der Feldscher wunderte sich, daß ein Mensch das Leben in einer solchen Fesselung so lange ausgehalten hatte. Der gesamte Kreislauf und Stoffwechsel mußte stocken und der Gefangene Tag und Nacht von Schmerzen, Übelkeit und Schwindel gequält sein.
    »He!« rief Roach den Indianer an.
    Der junge Häuptling beachtete den Anruf nicht. Er blieb stehen mit der Regungslosigkeit eines gefangenen Adlers.
    Watson winkte Roach, sich nicht weiter zu bemühen. Er schlug den Rock des Gefangenen über dessen Schultern, sah jetzt nicht nur das ausgemergelte Gesicht und die knochigen Hände, sondern auch den völlig abgemagerten Körper, der nur durch die harten Muskeln und Sehnen noch dem Druck der Fesseln widerstand. Der Feldscher horchte an Brust und Rücken und spürte dabei die Fieberhitze im Körper. Das Herz ging schnell und unregelmäßig, der Atem konnte nicht mehr frei durch die Lunge ziehen.
    »Auf alle Fälle eine beginnende Rippenfell- und Lungenentzündung und das entsprechende Fieber«, unterrichtete der Feldscher den Capt’n. »Auch schwere Bronchitis. Wahrscheinlich bereits Schwindsucht, aber um das festzustellen, müßte ich weitere Untersuchungen vornehmen.«
    »Danke! Was Sie sagen, genügt zunächst. Besteht Lebensgefahr?«
    »Der Indsman muß unbedingt aus diesen Fesseln und aus dem Keller heraus, sonst tut er in wenigen Tagen seinen letzten Atemzug.«
    »Ich habe Sie nicht um Ratschläge gebeten, sondern nach der Diagnose gefragt.«
    Watson kehrte sich nicht an diese Zurechtweisung. »Der Indsman scheint ganz ausgedörrt. Warum bekommt er nicht zu trinken?«
    »Ich werde befehlen, das künftig nicht wieder zu vergessen.«
    »Sauber machen könnte hier auch mal einer. Der Schmutz allein wirkt schon wie eine Folter.«
    »Indianer lieben den Dreck. Watson, denken Sie bitte daran, daß es sich hier nicht um einen ehrbaren Häuptling handelt, sondern um einen uns entlaufenen Kundschafter und einen gemeinen Meuchelmörder. Er hat nicht nur Mannschaften, sondern auch Offiziere niedergemacht und hat sich damit durchaus etwas mehr als einen schnellen Tod verdient.«
    »Es war Krieg.«
    »Rebellion, meinen Sie! Watson, halten Sie sich von den falschen Auffassungen des verstorbenen Majors a. D. Smith fern. Sie können sonst Nachteile haben!«
    Roach war mit dem Verhalten des Feldschers sehr unzufrieden und brach ab. Er kletterte als erster wieder die Sprossen hinauf. Der Sanitäter folgte ihm, zog die Leiter hoch und schloß den Deckel.
    Roach legte den Schlüssel zurück in den kleinen Kasten im Wandschrank.
    Während der Feldscher ohne ein weiteres Wort den Kommandantenraum wieder verließ, setzte sich der Capt’n in seinen Armstuhl und entdeckte dabei Cate Smith, die ihm gegenüber an die Wand gelehnt stand.
    Er mußte sich selbst erst wieder daran erinnern, was er befohlen hatte. »Ah, Fräulein Smith!«
    Das Gesicht des Mädchens war blaß, ihre Hände schienen blutleer. Sie trug einfache schwarze Kleidung als Zeichen der Trauer um ihren Vater. Ihr Ausdruck wurde merkwürdig abgewandt.
    »Sie sind etwas zu früh gekommen, Fräulein Smith … Wir haben uns soeben den Gefangenen angesehen, um den Ihr Herr Vater sich damals so ungemein besorgt zeigte.«
    Cate antwortete nicht. Sie wartete.
    »Fräulein Smith, wir machen es kurz. Setzen Sie sich!« Roach flüchtete sich in einen schulmeisterlichen Ton.
    Cate überhörte die Aufforderung und blieb stehen.
    Roach spielte mit der Zigarette zwischen den gelben Fingern. Lauernd, etwas unsicher, fuhr er fort: »Sie verstehen …«
    »Allerdings.« Cate sprach das Wort ohne irgendein Zeichen der Erregung über ihren ehemaligen Verlobten.
    Roach betrachtete das Mädchen mit widerwilliger Achtung und einer ihm natürlichen Frechheit. »Sie verstehen …«
    »Ich mußte vor einem Jahr verstehen lernen, daß Sie ein Schuft sind, Roach. Ihre Intrigen haben meinen Vater das Leben gekostet.« Cates Stimmklang blieb schlicht, ohne Pathos. »Heute weiß ich auch, daß Sie ein kleiner – ein sehr mittelmäßiger Schuft sind. Ich werde gehen.«
    Die Bezeichnung »mittelmäßig« war ein Hieb, der traf. Roach versuchte ihn zurückzugeben.
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