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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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entscheidenden Augenblick geschossen und die Verfolger an Stelle von Tokei-ihto auf sich gezogen hatte?
    Der Häuptling suchte nach den Flinten, die er in Gebrauch gehabt hatte, nach den Revolvern und nach seinem Bogen. Er fand nichts mehr. Die Waffen hatten die Jäger mitgenommen.
    Er war ein Mann ohne Pferd und ohne Schußwaffe. Nur das Messer war ihm geblieben.
    Vom Tal zog der feuchte Duft des Wassers herauf. Der Verwundete hatte Durst und wollte trinken. Seine Wassersäcke waren ausgelaufen. Er verließ das Büffelbad und kroch hinunter, so vorsichtig, als ob ein Feind da sein, der ihn beobachten wollte. Der Geruch des Wassers zog ihn immer stärker an, und der Instinkt beschleunigte seine Bewegungen. Als er die erste Nässe spürte, suchte sein Mund gierig danach, und er trank den Schlamm in langen Zügen. Um seinen Kopf kam zwischen den Schmerzen wieder das schwankende Gefühl. Die Wunde setzte ihm mehr zu, als er erst hatte glauben wollen. Er schob sich zwischen die Weiden und blieb bei der Pfütze liegen.
    Von seinem Versteck konnte er hinaufsehen bis zu der Kuppe. Unten im Tal rauschte der Fluß ohne Unterlaß.
    Der Dakota fühlte das Wasser und die nasse Erde; der Wind strich kühlend über ihn weg. Er trank noch einmal. Dann kämpfte er nicht mehr gegen die Müdigkeit. Seine Augen schlossen sich, und er schlief zwischen den Weiden ein.
    Als sein Bewußtsein wieder zu arbeiten begann, glaubte er, einen hellen Schimmer wahrzunehmen. Er sah, daß der Mond aufgegangen war, und im Zwang der Gewohnheit versuchte er sofort, den Platz zu beurteilen, an dem er lag. Er befand sich im Schatten, zwischen Gebüsch und Schwemmholz; es war kein übles Versteck, das er sich vor einigen Stunden gewählt hatte. Der Häuptling wurde sich langsam klar, daß er dennoch wieder auf die Anhöhe hinaufkriechen mußte. Auf der Kuppe lag der Gefangene!
    Der Dakota schob sich aus dem Weidengesträuch hinaus und kroch am Hang aufwärts, über den früheren Lagerplatz der Weiber und Kinder, der Hügelkuppe zu. Er kam auf die Anhöhe zu dem Büffelbad, das zwei Tage und drei Nächte sein Aufenthalt gewesen war.
    Der gefesselte Ponka lag noch am selben Platz. Tokei-ihto spähte in die Weite. Still und leer lag rings das Land. Bald würden die Geier und Wölfe ihr Mahl halten, und keine Spur konnte dann mehr von dem erzählen, was geschehen war. Tokei-ihto sah neben sich in der Mulde die Büchse des Red Fox mit dem zersplitterten Kolben liegen und nahm sie auf. Den Schaft konnte er daheim im Zelt ersetzen.
    Der Häuptling hielt weiter Ausschau. Seinen Falben und die Fuchsstute sah er weit oben am Stromufer friedlich miteinander grasen. Aber Tokei-ihto wartete noch auf etwas anderes, auf einen anderen. Ob der Schütze, der aus der Bucht auf Charlemagne geschossen hatte, den Skalpjägern zum Opfer gefallen war, oder ob er ihnen entkommen konnte? Wenn er noch lebte, würde er sich wohl zeigen. Tokei-ihto wußte, wer dieser Schütze gewesen war: sein Blutsbruder Donner vom Berge, der Siksikau. Er hatte die Aufgabe gehabt, den Kampf Tokei-ihtos zu beobachten und der Bärenbande Nachricht zu geben.
    Der Himmel begann hell zu werden. Aus dem Gras auf dem Hügelrücken tauchte die Gestalt eines Indianers auf. Offen schritt er auf die Kuppe zu. Er war groß und gerade gewachsen wie ein Speer.
    Auch Tokei-ihto erhob sich, die Blutsbrüder begrüßten sich, und auch Untschida kam zu ihnen herbei.
    »Du warst in den Augen unserer Feinde Tokei-ihto«, sagte der Dakota zu Donner vom Berge. »Wissen sie, daß du noch lebst?«
    »Sie wissen es nicht. Sie glauben, daß ich zu Tode verwundet gewesen sei. Ich sprang in das Schlammwasser. Heimlich habe ich den Strom wieder verlassen und den Skalpjägern noch nachgespäht. Deinen Knochenbogen haben sie mitgenommen und den Skalp des roten Kundschafters, den ich erschoß, als sie mich verfolgten. Diesen Skalp werden sie jetzt mit dem Bogen zusammen als den deinen verkaufen. Sie sind zufrieden fortgeritten.«
    »Hier«, Tokei-ihto wies auf den gefangenen Ponka, »das ist nun der einzige unserer Feinde, der weiß, daß Tokei-ihto noch am Leben ist. Er darf mich nicht verraten. Für die Watschitschun muß Tokei-ihto tot sein und bleiben.«
    »Machst du ihn stumm?«
    »Er mag wählen: den Tod – oder das Leben in unseren Zelten.«
    Der Dakota sah seinem Gefangenen in die Augen. In der Miene des jungen Mannes kämpften Trotz und Haß mit der Überlegung.
    »Kommst du aus euren Zelten oder hast du im Dienst der
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