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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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kämpften nicht für ihr Volk und dessen neuen Weg wie der Dakota, sie kämpften um einen Preis, den keiner dem anderen gönnte und für den sie sowenig wie möglich riskieren wollten. Zudem wuchsen ihre Chancen allein durch das Warten, denn die Schlaflosigkeit mußte den Dakota allmählich erschöpfen. Es konnte sein, daß sie so lange warteten, bis der Wanderzug das freie Land schon gewonnen hatte.
    Tokei-ihto lugte wieder in die Bucht hinunter und stellte fest, daß der Posten ohne Schußwaffe verschwunden war. Der Jäger hatte sich heimlich zurückgezogen.
    Die Sonne war schon sanft geworden wie eine weise Alte, die Strahlen spielten flach über das saftiggrüne Grasland, und ihr flimmerndes Gold begann sich zu röten.
    Der Dakota legte die drei Adlerfedern ab. Er pflückte sich Gräser und machte sich mit Hilfe der Schlangenhaut, die seine Haare hielt, eine Graskrone. Ein Kopfschuß in dem Augenblick, in dem er den Kopf heben mußte, um zu zielen, war die größte Gefahr für ihn, und er mußte Haar und Stirn möglichst verbergen.
    Wenn er hinunterspähte, konnte er erkennen, daß die meisten der feindlichen Reiter abgesessen waren. Es war schon zu dunkel, um diejenigen noch mit dem Auge festhalten zu können, die sich im Gras und hinter einzelnen Büschen verborgen hielten. Aber Tokei-ihto vertraute darauf, daß er sie rechtzeitig entdeckte, wenn sie sich rührten.
    Das Jaulen der Wölfe hatte aufgehört. Sie schlichen schon lautlos nach Beute umher. Aber sie mußten auch die Menschen wittern, vor denen sie Furcht hatten und die sie nur angriffen, wenn sie der Hunger quälte.
    Die ganze Nacht klang das Lied Untschidas durch die Finsternis.
    Wieder wurde es Tag.
    Tokei-ihto wachte in nicht nachlassender Aufmerksamkeit. Er war zu Jagd und Kampf erzogen, und die fortwährende Beobachtung des Geländes und aller Vorgänge war ihm in Fleisch und Blut übergegangen; er hätte sich zwingen müssen, sie zu unterlassen. In den Jahren, in denen er vom Knaben zum Mann wurde, war er als Begleiter des geächteten Vaters oder auch allein wie ein Tier der Wildnis umhergeschweift. Er konnte sich mit einer Flinte und seinem Mustang zusammen in Wald und Prärie gegen viele Feinde behaupten. Was ihn hart anging, das war der elende Zustand seines Hengstes.
    Der Dakota wünschte das Ende des tatenlosen Tages herbei. Immer wieder ging sein Auge während der schleichenden Stunden zurück auf der Fährte des Wanderzuges nach Süden. Dort in der Ferne floß noch der Pferdebach durch das sandige Grasland. Am Weißen Fluß hockten die Brüder und Schwestern vom Stamm der Dakota, verstummt und erschöpft, unter der Herrschaft der Watschitschun. Ein kleines Häufchen erst war ausgezogen, um ein neues Leben zu beginnen.
    Der Häuptling griff nach den grauen Haaren des Vaters, die in seinem Gürtel verborgen waren. Er mußte den Watschitschun damit entkommen, er wollte es. Wenn die Bärenbande schnell gewandert war, konnte sie die Grenze um diese Zeit schon überschreiten.
    Die Sonne zog ihre Bahn wieder abwärts gegen Westen zu, sie sank, und die Finsternis breitete sich über das Land. Bodenwellen und Einsenkungen, das große Tal mit seinen flimmernden Wassern waren in die Dunkelheit eingehüllt. Während Tokei-ih-tos Aufmerksamkeit in diesen ersten mondlosen Stunden der Nacht besonders gespannt auf eine etwaige Annäherung der Feinde gerichtet war, nahm er das Bild seiner näheren Umgebung nur unbewußt in sich auf.
    Der Falbe erschien in der Nacht wie ein rechtes Wildtier. Er hatte wahrgenommen, daß sein Herr nicht schlief, und kam auch nicht zur Ruhe. Hin und wieder zupfte er sich ein Maul voll Gräser ab und zerkaute sie zwischen seinen starken Zähnen. Der Hengst machte einige Schritte und blieb dann wieder bei der gefesselten Stute stehen.
    Am Nordrand der Mulde lag noch der Körper des toten Red Fox.
    Tokei-ihto war als Kind gelehrt worden, daß der Geist eines Feindes über den Tod hinaus haßte. Die Frauen mußten zu nächtlicher Stunde im Feuerschein um die erbeuteten Kopfhäute tanzen, um die feindlichen Geister zu beschwören und zur Ruhe zu bringen. Der Knabe Harka hatte diesen Tanz gesehen, wenn die Bärenbande die Skalplocken der Pani in ihre Zelte brachte.
    Die weißen Männer lachten über solchen Brauch, oder sie entsetzten sich darüber. Tops Sohn erfuhr das. Er tötete viele Männer und sah viele Tote; er betrachtete einen toten Feind nicht anders als einen Stamm, den die Axt gefällt hat. Er nahm sich ihre Skalpe, die
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