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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Er hatte ein Pferd bei sich, das er schlachten konnte, um sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken. Auch zwei Wassersäcke und Proviant lagen vorsorglich bereit.
    Die kommenden Nachtstunden waren vom Mondschein erhellt. Tokei-ihto nahm an, daß die Jäger sich nicht so schnell zu einem Angriff auf ihn entschließen würden. Sie hatten das Schießen ganz eingestellt. Der Indianer beobachtete, wie sie sich zu Gruppen sammelten. Ihre Anführer, Red Fox und Schonka, waren gefallen. Wahrscheinlich berieten sie, was in der neuen Lage zu unternehmen sei.
    Tokei-ihtos besondere Aufmerksamkeit galt dem Abhang, der zur Bucht hinunterführte. Das war die einzige Seite, an der es für die Feinde etwas Deckung gab. Im Buchtgrund hatte sich das Schwemmholz angehäuft, hier wuchsen Weiden und anderes Gesträuch, hinter dem man sich verstecken konnte.
    Tokei-ihtos suchendes Auge nahm eine Bewegung wahr.
    Ein Jäger kam vorsichtig hinter einem Weidengesträuch vor und schob sich im Gras aufwärts. Er büßte sein Unternehmen. Der Pfeil des Indianers traf den Überraschten in den Nacken. Der Getroffene streckte sich und blieb ohne Laut liegen.
    Der Dakota hatte jetzt Muße und richtete sich möglichst zweckmäßig auf der Kuppe ein. Er prüfte sorgfältig die erbeuteten Flinten und zählte die Patronen und Kugeln, dann legte er sich alles zur Hand, so daß er mit möglichst geringem Zeitverlust Schüsse abgeben konnte. Es blieb ringsumher ruhig, und auch aus der Bucht wagte sich vorläufig niemand mehr heran. Gleichmäßig rauschte das Wasser tief unten im großen Tal.
    Der Mond war gewandert und schaute von Südwesten herüber. Eine Kuppel funkelnder Sterne stand über dem Land. Der Wind strich leise dahin und nahm den Geruch der Verwesung und den feuchten Dunst mit, der von dem Überschwemmungsgelände aufstieg. Tokei-ihto konnte von seiner Höhe tief hinuntersehen und das Schillern des Wassers erkennen. Drüben am Nordufer lag die Prärie ganz einsam. Der Wanderzug und die ihm nachfolgenden Kundschafter waren längst in der Ferne entschwunden.
    Der Indianer lag beobachtend in seiner Mulde. Von der Prärie her ertönten indianische Rhythmen durch die Nacht. Tokei-ihto lauschte. Es war ein Gesang in der Sprache der Dakota, ein eintöniger, stolzer, nicht endender Gesang. Der Häuptling kannte die Stimme. Mattotaupas Mutter, Untschida, war diesseits des Stromes zurückgeblieben und sang für den Sohn ihres Sohnes, der sich im Ring der Feinde befand.
    Tokei-ihto erkannte den Schatten ihrer hochaufgerichteten Gestalt. Keiner der Weißen störte sie. Die weißen Männer gaben vor, die Frauen zu achten, und sie schalten, daß Indianer ihre Frauen wie Sklavinnen arbeiten ließen. Aber wenn das Jägerleben auch mit sich gebracht hatte, daß der Mann mit Pfeil und Bogen unterwegs war und die Frau die Arbeit im Zelt tun mußte, wenn auch die Frauen im Zelt abseits des Feuers sitzen und schweigen mußten, so hatten die Dakota doch nie vergessen, daß auch in Frauen ein kluger Geist und Mut wohnen konnten.
    Sie hatten das Alter immer geachtet, gleich, ob es ihnen im Mann oder in der Frau erschien. Tokei-ihto bewunderte Untschida, die unbekümmert um die Feinde das Lied von Tokei-ihto und vom Stamm der Dakota sang. Sie wurde nicht müde. Aufrecht stand sie die Nacht hindurch, und gleichmäßig erklang ihre Stimme durch die Dunkelheit. Auch den rohen Gesellen des Red Fox zwang sie Achtung ab.
    Stunde um Stunde verging. Der Mond wanderte weiter, und die Sterne wurden blasser. Es war bitter kalt vor Beginn der Morgendämmerung. Eine Eule schwebte lautlos vorbei; in den Fängen trug sie eine erhaschte Beute.
    Tokei-ihto öffnete die Taschen des toten Red Fox und entnahm einer Brusttasche den Skalp Mattotaupas mit den grauschwarzen Haaren. Er strich die Haare langsam um seine Hand und verbarg sie bei sich. Das Messer, das seinen Vater ermordet hatte, nahm er ebenfalls. Es war kein breites Skalpmesser, sondern ein Dolch. Der Häuptling blieb wieder auf Wache liegen.
    Drunten bei den Feinden rührte sich nichts.
    Die Sterne schwanden, und die grauen Schleier der Morgendämmerung lösten sich in nichts auf. Das Sonnenlicht siegte. Der Dakota ließ sich von den morgendlichen Strahlen anwärmen. Er spähte hinunter in die Bucht und entdeckte zwei Posten, die sich wieder eingeschlichen hatten. Sie hatten sehr sorgfältig Deckung genommen.
    Nur ein Stück braunen Lederstiefel konnte Tokei-ihto an der einen Stelle sehen, und das war kaum zu
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